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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Schäfer, Wilhelm: Der bucklige Geiger: eine Rheinsage
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Schäfer, Wilhelm: Der Mönch von Heisterbach: eine Rheinsage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0256

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DER BUCKLIGE GEIGER.

sich dort aufzuhängen. Wie er dann aber an
die blasse Mutter dachte und daß sie keinen
Sorger hätte, besann er sich und schlich um
Mitternacht nach Haus die Nachtigallenschlucht
herunter. Da trat ihm mitten aus dem Wald
ein feines Mädchen in den Weg; das war sehr
weiß und windig für die Nacht gekleidet und
hatte eine Stimme, die mehr wie Heimchen-
zirpen klang. Die bat ihn innig, er möge hier
am alten Eichenbaum zum Tanz aufspielen,
damit sie auf dem Wiesenplan dahinter tanzen
könnte; und wie der Geiger ihr mürrisch seine
Fiedel zeigte, darauf nicht eine Saite und
kein Steg war, da griff sie ein paar Strahlen
aus dem Mond und stellte ihren Silberkamm
darunter. Und weil er sich um seiner Missetat
an seiner Geige willen schon gescholten hatte,
so griff er freudig in die Saiten, und als sie hell
und silbern klangen, nahm er den Bogen in die
Hand und spielte, was der Mond ihm sagte.
Es war kein Walzer und kein Rheinländer; und
was die Elfenkönigin mit ihren Elfen danach
tanzte, sah aus, wie wenn ein Rauch vom Wind
im Kreis getrieben wird. Doch spielte er bis

Der mönch von heisterbach

Eine Rheinsage von Wilhelm Schäfer.

Einmal vor vielen Jahren saß ein junger
Mönch zu Heisterbach vor seinem Psalter und
grübelte den letzten Dingen nach und konnte
nicht verstehen, was geschrieben stand: Denn
tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der
gestern vergangen ist, und wie eine Nacht-
wache. Und weil ihm heiß geworden war in
Grübelei und Seelennot, so ging er in den
Klostergarten, wo die Frühlingslüfte kühl um
seine Ohren wehten. Da hörte er Gesang von
einem Vogel, voll und schmelzend wie von
einer wunderbaren Flöte, so daß er alle Grübelei
vergaß und durch den Garten hin und her dem
wunderbaren Vogel folgte, der nur ein unschein-
bares graues Tierchen war und rasch von
Baum zu Baum sich schwingend stets wieder
anderen Gesang anhob. Zuletzt flog er auf einen
Tannenbaum jenseits der Mauer und weil das
Klosterpförtchen offen stand, so folgte ihm der
junge Mönch und ließ sich in den hellen Früh-
lingswald hinunter locken bis tief in eine Brom-
beerschlucht, wo ganz im Grunde eine Quelle
wie ein Brunnen still in ihrem eigenen Wasser
stand und in den Sonnenstrahlen glühte. Auf
einmal aber ging die Sonne unter, der Vogel
schwieg und eine solche Kühle stieg aus dem
Gebüsch, daß ihn ein Frösteln packte. Da
wollte er sehr rasch zurück, jedoch die Brom-
beerranken hängten sich in seine Kutte, so daß

in den Morgen und dachte nicht daran, selbst
mitzutanzen, so wohl tat seinen Augen das Ge-
woge der silbernen Gewänder. Und als die
erste Frühe kam, da wurden ihre Leiber blaß,
wie wenn ein Nebel in die Sonne steigt. Doch
sah er sie noch alle, wie sie in stiller Reihe zu
ihm kamen, ihm zu danken. Und als er schon
bedachte, in welchem Geld sie ihm wohl lohnen
könnten, da tat die Königin mit ihrem Stab ihm
einen Schlag auf seinen Buckel, daß er den Stab
zerbrechen hörte. Sogleich verschwanden alle
in die Helligkeit und nur ein klingendes Ge-
lächter blieb lange in der Luft. Da glaubte er
sich hier wie sonst verhöhnt und stieg mit
bittrem Herzen und wilden Tränen in sein Tal.
Doch als zu Hause seine Mutter vor der Tür
am Wasser stand und sich den Schlaf aus ihren
Augen wusch, da tat sie einen hellen Schrei,
und als er seine Geige fast in den Strom ge-
worfen hätte, so weh tat ihm die Freude,
da riß sie ihn am Arm zum Wasser hin, und
in der stillen grünen Morgenflut sah er sein
Spiegelbild wie einen dünnen schlanken Lebens-
baum.

er mühsam aus der Schlucht und in der ersten
Dämmerung an das Kloster kam. Da war das
Mauerpförtchen schon geschlossen, so daß er
um den Garten her ans Haupttor mußte. Be-
schämten Sinnes wollte er die Glocke ziehen
und fand den Griff nicht mehr und mußte
schließlich klopfen. Er sprach den Pförtner
gleich demütig an, daß er zu spät gekommen
wäre, und wollte schnell an ihm vorbei. Der
aber trat ihm in den Weg und sah ihm
forschend ins Gesicht; da merkte er, daß es
ein anderer Pförtner war, den er nicht kannte,
und weil er hitzig wurde, hieß er ihn mit zum
Abt hinüber gehen. Auch dieser aber war ein
Fremder, und als er zweifelnd die getäfelten
Wände sah, die er doch kannte: sah er im
Licht der Kerze in den wunderkleinen Scheiben
sein eignes Bild mit weißem Bart und Haar
und fühlte, daß sein Rücken ihm krumm ge-
worden war wie einem alten Mann. Da hielten
ihn die Füße nicht mehr länger; sie mußten
ihn auf einen Sessel leiten. Da saß er und sah
die Brüder kommen, einen nach dem andern,
und keinen kannte er und keiner ihn. Und als
er zitternd seinen Namen nannte, holten sie
das alte Klosterbuch und fingen an zu blättern,
weit zurück, und fanden keinen seines Namens
in dreihundert Jahren; der letzte aber, der so
hieß, war jungen Jahres schon ein Zweifler
und ging heimlich fort. Da sank dem alten
Mönch ein schwerer Schatten in die Augen:
Denn tausend Jahre sind ein Tag; und war
gestorben wie wenn Wind auf eine Kerze fällt.

ig2
 
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