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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Schur, Ernst: Über dekorative Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0086

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W. Steinhausen. Wandbild in der Aula des Kaiser-Friedrich-Gymnasiums zu Frankfurt a. M.

UBER DEKORATIVE

MALEREI. Von Ernst Schur.
I.

Eine augenblicklich Mode gewordene Theorie,
die nur noch einmal (und charakteristischer-
weise übertrieben und verzerrt) formuliert, was
als Tatsache in den letzten Jahren der Ent-
wicklung unserer gegenwärtigen Malerei be-
kannt war, will uns belehren, die monumentale
Malerei sei ein Unding und ihre Ausübung ein
Anachronismus. Schriftsteller, die über den
engen Horizont ihrer nächsten Gegenwart nicht
hinaussehen können (d. h. ins Geistige über-
tragen, denen das Schöpferische fehlt, das
augenblicklich Nichtseiende als späterhin Seien-
des für möglich zu halten), kommen oft dazu,
das Augenblickliche allzusehr als Maßstab zu
nehmen. Sie zeigen die absonderlichste Ab-
hängigkeit bei übertrieben zur Schau getragenem
Anspruch auf Vorgeschrittenheit und Selbstän-
digkeit. Ihnen dient die Geschichte als will-
kommene Nothelferin und es zeigt sich wieder,
wie durch geschickte Gruppierung alle Möglich-
keiten schnell beweisbar erscheinen. Wir
sollen uns daher nicht allzusehr auf sie ver-
lassen. Geschichte ist Wissen. Wir sollen
uns aber weniger auf dieses äußerliche Neben-
einander der Geschehnisse verlassen, dessen
Gruppierung vom Zufall abhängt, sondern auf
die dem wichtigen Einzelereignis zugrunde
liegende Kraft. Diese trügt uns nicht. Indem
sie uns am nahesten und wahrhaftigsten in der
Gegenwart erscheint, gibt sie uns zugleich die
nachdrücklichste und lehrreichste Mahnung.
Diese lautet: Wende dich ab von dem klü-
gelnden Geist, der die Begriffe ein-
schachtelt, und bleibe dem Leben mit
allen Sinnen treu. Dann nämlich wird der
Geist der Geschichte in uns wahrhaft lebendig.
Er hütet uns davor, unserer Zeit mit kleinlichen
Kombinationen zu kommen und sie mit ver-
frühten, kurzgeistigen Behauptungen und Be-
weisführungen festlegen zu wollen. Die Weite,
in die wir all unsere Annahmen einspannen
müssen, entspricht allein der unendlichen Frei-

heit des Universums. Und die Kraft erkennen,
ihr dienen, ist das einzig Große, das uns über
uns selbst dauernd erhebt. Der kleine Geist
hält sich ein Notizbuch und kontrolliert die
Gegenwart und stellt aus armseligen Beobach-
tungen eine Folge scheinbarer Zusammenhänge
her. Dabei aber vernachlässigt er gerade das,
was allein von Wert ist. Er nimmt an, die
gegenwärtige Entwicklung sei in einem festen
Zustand begriffen, den er nun als feststehend
schildern kann. So handelt er gegen den Geist
der Geschichte, der Entwicklung heißt, denn
diese Kraft allein entspricht im Ganzen dem
treibenden Moment der unendlichen Welt, in
der wir als Teil eingegliedert sind.

Von diesem Gesichtspunkt aus erscheint
die neueste Modetheorie der Gegenwart als eine
unglaublich schwächliche Konstruktion. In dem
Augenblick, wo sie auftritt, ist sie veraltet, und
die Entwicklung schreitet zu neuen Taten. Vor
dem lebendigen Leben zerstiebt dieser graue
Wolkendunst, denn das Leben und daher auch
die Kunst ist vielfältig, kraftvoll und zukunfts-
reich. Wer es oder sie einschachteln will,
steht auf dem Standpunkt des nörgelnden Schul-
meisters von ehedem, dem das Leben immer
ein Schnippchen schlug, wenn er es registriert
wähnte, indem es ihm immer lustig zappelnd
zwischen den Fingern entwischte, wenn er es
zu halten wähnte, wie ein fröhliches Nixlein,
dessen ungebändigte, lachende Tollheit die
dummen, blöden Augen anstaunen.

II.

Die Geschichte der dekorativen Malerei der
Gegenwart zeigt nicht so einfache Geschlossen-
heit. Ein Überblick über die Gesamtgeschichte
zeigt einzelne Perioden und Stilwandlungen
wohlabgesondert und unterschieden. Wie es
immer ist: die Vergangenheit ist einfach und
leicht zu meistern, die Gegenwart ist viel-
spältig und verwirrend. Aber versuchen wir
uns hier zurechtzufinden.

Wir begegnen da zuerst denen, die den
Anschluß an die Renaissance suchen. Die
Decke, die Wand, das Giebelfeld erscheint
ihnen als Mittel, sich in großen Entwürfen

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