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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 4
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Lee, Vernon: Sankt Geryon von Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0188

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SANKT GERYON VON KÖLN.

aus Holz und Silber — zur Mehrzahl Frauen-
büsten —, welche alle einen echten Schädel
enthalten; während auf anderen Simsen wieder
Reihen von wunderbaren Häubchen und Mätz-
chen stehen, aus Gold- und Silberstoff, mit
Perlen bestickt . . . und aus jedem grinst uns
ein Totenkopf entgegen.

An einem solchen Ort lernt man verstehen,
daß Reliquien nicht die reinen Gefühlssachen
waren, wie Haarlocken von Geliebten oder
Briefe großer Toten es sind; denn das Gefühl,
sei es im einzelnen Menschen auch noch so
stark, ist keine Sache der Massen; und es ge-
hören praktische Beweggründe dazu, um eine
große Volkszahl dahin zu bringen, solche
Gegenstände anzusammeln, ihr Gold, ihre Perlen
und Edelsteine, ihre Zeit und ihre Arbeit hin-
zugeben, um ihnen einen Wohnort zu schaffen.

Die Reliquie muß vielmehr als ein Gegen-
stand unermeßlichen Wertes angesehen werden,
welche alle Vorteile eines Geheimmittels von
unfehlbarer Wirksamkeit mit denen einer Schuß-
waffe von unübertroffener Gewalt in sich ver-
einigte. Dieser kleine Totenschädel in seinem
silbernen, durchbrochenen Kinderhäubchen, jene

Knochenhand im juwelenbesetzten Handschuh
oder auch irgend eine der grauslichen Unbe-
stimmbarkeiten, die in Baumwolle gewickelt
und mit winzigen Etiketten bezeichnet sind —
sie haben die Pest oder wenigstens das Fieber
kuriert, haben Regen oder Sonne gebracht, ja,
ganze Armeen in die Flucht geschlagen. Solche
Dinge sind wohl wert aufbewahrt, gesammelt,
gekauft, sogar gestohlen zu werden (wie der Leib
des heiligen Markus, den die Venezianer raubten,
und die heiligen Drei Könige, die Barbarossa
aus ihrem gehörnten Sarkophag in Mailand ent-
führte). Wir bauen feste Wohnungen, um sie
aufzubewahren, und errichten schöne, feierliche
Stätten über ihnen; und hier ist der Vorzug,
den sie vor gröberen Heilmitteln und Waffen
einer ungläubigen Zeit besitzen: denn nicht nur
dienen sie unserem körperlichen Vorteil, sie
erfüllen uns auch mit viel hohen und sanften
Gedanken und tun unseren Seelen Gutes an,
hier und dort.

So ähnlich waren meine Gedanken, als ich
durch Köln schlenderte, von Kirche zu Kirche,
von Sankt Ursula zu den Heiligen Aposteln,
von Sankt Marien zu Sankt Cäcilia, und zu wer
weiß wie viel anderen noch. Es hatte geregnet
und der Nachmittag ging zu Ende, so daß der
bedauerliche Umstand, daß diese Kirchen vor
kurzem restauriert worden sind, immer weniger
bemerkbar wurde. Die grelle Neuheit ver-
schwand; das Schiff versank in immer tieferes
Dämmern; und ein weißer Altar, von un-
sichtbarem Seitenlicht erhellt, stand sehr hold
und feierlich in der kurzen byzantinischen
Apsis und löste sich von Mosaik und ver-
goldeten Kapitalen ab, von denen man nur
gerade sehen konnte, daß sie golden waren und
schimmerten.

Und doch, welch ein Genuß, als ich endlich
über eine Kirche geriet, die gar nicht restauriert,
sondern vom Gebrauch sehr mitgenommen war
und zurzeit eine betende Menge umschloß; denn
es war die Stunde der Abendlitanei.

Allerhand ungereimte und erfreuliche Dinge
ließen sich eben noch erkennen: große, Rubens-
artige Gemälde, mit Kanonendampf, welche
irgend einen Sieg über die ketzerischen Schweden
im Dreißigjährigen Krieg verewigten; und gegen-
über eine schwärzliche, byzantinische Madonna,
mit güldnem Heiligenschein und vergoldeten
Mantelfalten, hinter einer Reihe Kerzen. In der
Kirche schwebte ein leiser Duft von Weihrauch
und trockenen Blumen, an Stelle des allgegen-
wärtigen germanischen Geruchs von längst ver-
blichenem Käse und Bier; und von den spär-
lichen Reihen knieender Männer und Frauen
stiegen die feierlichen Responsorien auf, jedes-
mal durch einen altertümlichen Schnörkel auf
der Orgel vollendet. Es hätte zur selben Zeit
sein können, als die Kirche erbaut wurde; viel-
leicht aber war da noch die hinzugekommene

Auf dem Rothenberg (Köln).

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