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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 4
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Lee, Vernon: Sankt Geryon von Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0189

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unendliche Feierlichkeit von all den Jahr-
hunderten, die sich seitdem angehäuft, ein jedes
sein Stückchen Glanz oder sein ebenso rührendes
Restchen Schutt hinzufügend. Als der Gottes-
dienst vorüber war, wandte ich mich zu meinem
Nachbar und fragte, welche Kirche dies wohl sei:
die Kirche von Sankt Geryon, war die Antwort.

Es ist zweifellos immer erfreulich zu hören,
daß irgend jemand als Heiliger geendigt hat;
warum also nicht Geryon? Der Ort, von welchem
man zuletzt Nachricht von ihm hatte, wo er
als Aufzug zwischen den beiden Stockwerken
der Hölle fungierte, war zwar etwas verdächtig,
und Dante tut ein paar unfreundliche Äuße-
rungen über ihn, ganz abgesehen von den
Krallen und schlangenartigem Schweif. Aber
wir wissen, daß der Dichter während jenes
Abstiegs furchtbar litt, und wohl infolgedessen
etwas schwer zufriedenzustellen war; übrigens
muß sogar er einräumen, daß Geryon „das An-
gesicht eines rechtlichen Mannes“ besaß, und
das ist immer etwas, das man sogar einem
Anfänger in Heiligkeit gutschreiben muß. Trotz
alledem . . .

Ich trat aus der Kirche in die schmalen,
dämmerigen Gassen, wo die Lampen kleine,
gelbe Heiligenscheine machten, und schlenderte
in Gedanken bis zur Wasserkante. Der Rhein
in Köln ist ungefähr so breit wie die Themse
bei den Docks; mit großen, breiten Kais, welche
von den massiven Glockentürmen der Stadt
überragt werden. Es waren nicht viel Fahr-
zeuge zu sehen, nur ein paar Dampfboote, mit
Abladen beschäftigt; aber jegliche Art Schiff-
fahrtsbureau, Kramläden und dergleichen, Auf-
schriften in allen Sprachen und Pumpbrunnen,
an denen angeschrieben war: Frisches Wasser
für Seeleute. Der Rhein ist eben immer noch
eine der großen Handelsstraßen der Welt. —

Dann wurde es Abend; die Boote zündeten
grüne und rote
Lichter an, die
Stadt wurde zu
einer dunklen
Masse, nur seine
Türme standen
scharf ab von dem
blaßgrünlichen
Himmel. Ich lehn-
te gegen die Brust-
wehre und sah den
dunklen Wirbeln
im Wasser zu und
den Lichtern am
Ufer gegenüber.

SANKT GERYON VON KÖLN.

Plötzlich fuhr ich zusammen, oder vielmehr
mein inneres Selbst fuhr zusammen. Geryon!
Ich verstand auf einmal die Heiligsprechung
Geryons: er war der Wohltäter der Stadt ge-
wesen. Denn mein Blick war mechanisch
einer Dampffähre gefolgt, welche stromüber
kreuzte, einer dunklen, unbestimmten Form,
mit glühend rotem Auge und dem Umriß eines
Wasservogels, mit ihrem Segeldach und Schorn-
stein. Das war ja Geryons Gewerbe gewesen
in jenem dunklen Zeitalter, ehe ihm Dante in der
Hölle begegnete, wo er den Dienst eines Auf-
zugs versah. In stürmischen Winternächten,
wenn kein Schiffer sich hinausgetraute, hatte
er die Rolle des heiligen Christophorus für die
guten Bürger von Köln übernommen und hatte
sie sicher von Ufer zu Ufer getragen. Bis dann
in einer dunklen Nacht jener vorwitzige kleine
Mönch, der auch, wie wirs von Dürer wissen,
den heiligen Christophorus ausspionierte, mit
seiner Laterne kam und die unheimliche Ge-
stalt, den Ringelschweif und die Krallen des
heiligen Ungeheuers entdeckte, das doch so viel
nützliche Arbeit tat — die Arbeit vielleicht von
Ibsens Lebenslügen (denn Dante identifiziert
ihn mit Betrug), welche uns Menschen über
die finsteren Strudel des Lebens hinwegtragen.

Beinahe wär ich, trotz der Dunkelheit, zur
Geryonskirche zurückgekehrt; und nur der
Gedanke an das Erstaunen des Meßners
verhinderte mich, ihn zu so später Stunde
herauszuklingeln und zu bitten, mir aus
besonderer Gefälligkeit die Überreste — wenn
irgend möglich Schweif und Krallen, des
heiligen Geryon vorzuzeigen.

* *

*

Nachschrift der Redaktion: Es wäre gar nicht
übel gewesen, wenn die spöttische Engländerin

doch noch den
Meßner heraus-
geklingelt hätte.
Er würde ihr ge-
sagt haben,daß ihr
fabelhafter Geryon
mit Schweif und
Krallen gar nichts
mit dem heiligen
Gereon zu tun
hat, dem zu Ehren
angeblich auf Ge-
heiß der Kaiserin
Helena St. Gereon
gegründet wurde.

Marienplatz (Köln).

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