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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 1
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Kühl, Gustav: Abschied
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0058

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ABSCHIED.

atmende Boden eingesargt werden wird; das
muß ja sein. Aber die Gleichgültigkeit derer
die es tun, die ist so beschämend! Nach
Quadratmetern ist der Wert berechnet, Gelder
sind gezahlt von Leuten, die kaum wissen wo
dies Fleckchen liegt, an andere, die es ver-
kauften nur um ihren Profit zu machen; ein
Haus kommt drauf zu stehen, dessen Eigen-
tümer nie hier zu leben denkt, in dem Mieter
wohnen zwei oder drei Jahre, bis andere hinein-
ziehen, Menschen, die beim Begegnen auf den
Treppen nicht einmal einen Gruß tauschen, so
fremd sind sie einander, und ruhen allnächtlich
unter demselben Dach. Und so fremd sind sie
dem Erdstückchen, das ihr Haus und Habe und
sie selber schweigend trägt und hält.

Was wissen sie von seinem Leben — das
doch älter ist als irgend eines von ihnen! Fällt
es auch nur Einem ein, daß seine Vorfahren
hier vor siebenhundert Jahren ein feuchtes
Bruchland fanden, mit undurchdringlichem Ge-
strüpp bedeckt und von riesigen Erlenwipfeln
überschattet — daß sie es in Angriff nahmen,
rodeten, Gräben zogen, bis eine dürftige Vieh-
weide sie eine Zeitlang ausruhen ließ ? Daß
der Waldrand weiter und weiter zurückwich,
der junge Wiesenboden trockener und lockerer
wurde, bis endlich eines Tags eine kleine An-
saat Korns gewagt werden konnte? Und nun
alljährlich Saat und Ernte, Pflug und Sense,
reicher oder armer Ertrag, und durstiges Ein-
schlürfen des Düngersaftes, des Regens, des
heißen hellstrahlenden Sonnenlichts! Jahr für
Jahr sah der liebe Gott, der damals noch auf die
Erde und das Menschentagwerk niederschaute,
die wechselnden Bilder: über den harten braunen
Grund hingebreitet im Frühling das fein-
fädige grüne Seidentuch der jungen Halme, im
Sommer das stäubende und gilbende Rauch-
werk der Ähren, über die der Wind hinstrich,
oder das geköperte Schleiergewebe des Hafers,
aus dem die blauen Kornblumen durchlugten,
oder auch den fetten blumigen Klee, der immer
aussieht als wollt er sagen: Ach käme doch
erst der dicklippige Mund der Kuh, die mich
essen wird! — Dann der Herbst, und die Reihen
großer Schattenflecke neben den aufrechtstehen-
den Hocken; und schließlich liegt die kahle gelbe
Stoppel wieder da, der Pflug zieht mitten durch
und reißt eine schmale Rinne, ein breites,

immer breiteres Band, bis deine nackte braune
Erde von neuem frisch und gebebereit daliegt,
du nimmermüder Ackergrund!

Siebenhundert Jahre hast du uns erhalten;
aber wir wissen es nicht. Fußboden wirst du
jetzt sein, nicht Nährboden mehr; und nicht
einmal mit unsern Füßen berühren wir dich:
du bist versargt und tot.

Einmal freilich soll es, in wenig Wochen,
noch wieder lebendig sein auf dieser Stelle,
wenn die rötlichen Mauern des Neubaus em-
porwachsen und auf den selbstgefügten Graten
hoch in freier Luft die Maurer stehen in ihren
weißen Arbeitshosen und Blusen gegen den
klaren Himmel, von der Herbstsonne bestrahlt!
Dann fliegen die Steine von Hand zu Hand oder
fallen in Lasten mit Gekrach auf die stäubenden
Bretter, Warnungsrufe erschallen, Tröge werden
gebracht und niedergesetzt; und die Männer
bücken sich und richten sich auf, klecksen den
Mörtel mit dreieckiger Kelle auf den Ziegelstein,
passen und klopfen, streichen ab und greifen
zum nächsten Steine, fleißig fleißig vom frühsten
Morgen bis Sonnenuntergang — schöne Tage!
Aber wenn erst das Licht ausgesperrt ist aus
den gradwinkligen Zellen, dann steht ein totes
Totenhaus. Nur Schemen gehen in ihm aus
und ein, Automaten, die mit blöden Gesichtern
morgens an die Arbeit und abends von der
Arbeit hasten, die in automatischen Wagen
fahren und automatische Musik genießen, und
ihre riechenden Wohnräume mit stumpfem
Lärm erfüllen. Was können sie von dir
wissen, mein kleines Feldstück, vom deinem
stillen Speisen und Hervorbringen unter dem
brütenden Himmel Gottes!

Aber sie können dich nicht töten! Sie
meinen, daß ihre Häuser auf ewig gebaut sind,
denn sie kennen nicht Wurzel und Halm, noch
Frucht und Knolle. Warte nur deine Zeit!
Wenn wieder siebenhundert Jahre um sind, dann
ist das alles hier ein großer Schutthaufen ge-
worden wie jetzt der kleine dort hinten in der
Ecke, und vielleicht, denn Pflanzensame hat
ein langes Leben, vielleicht schlummert schon
jetzt das Unkraut in dir, das jene Trümmer
überklettern wird, und der Keim des Baums,
der die letzte harte Grundmauer in deinem
Innern sprengt und seine grüne Mähne frei im
Winde schüttelt.

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