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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Hesse, Hermann: Eine Fussreise im Herbst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0096

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EINE FUSSREISE IM HERBST.

Der Schiffsmann war graubärtig, groß und
mager. Ich kannte ihn, er hatte mich vor
Jahren mehrmals gerudert; doch erkannte er
mich nicht wieder.

Wir hatten eine halbe Stunde zu rudern,
und während wir unterwegs waren, ward es
vollends Nacht. Mein linkes Ruder rieb in
seiner Öse bei jedem Zuge mit rostig knarrendem
Ton, unter dem Vorderteil des Bootes schlug
das schwache Gewoge unregelmäßig mit hohlem
Geräusch an den Schiffsboden. Ich hatte zu-
erst den Mantel, dann auch noch die Jacke
ausgezogen und neben mich gelegt, und als
wir uns dem jenseitigen Ufer näherten, war
ich in einen leichten Schweiß geraten.

Jetzt spielten vom Strande her Lichter auf
dem dunkeln Wasser, zuckten springend in
gebrochenen Linien und blendeten mehr als sie
leuchteten. Wir stießen ans Land, der Fähr-
mann warf seine Bootskette um einen dicken
Pfahl. Aus dem schwarzen Torbogen trat der
Zöllner mit einer Laterne. Ich gab dem Schiffs-
mann seinen kleinen Lohn, ließ den Zöllner an
meinem Mantel schnuppern und zog mir die
Hemdärmel unter der Jacke zurecht.

Im Augenblick, da ich wegging, fiel mir der
vergessene Name des Schiffers wieder ein.
„Gut Nacht, Hans Leutwin,“ rief ich ihm zu
und ging davon, während er, die Hand vorm
Auge, mir erstaunt und brummend nachglotzte.

IM GOLDENEN LÖWEN.

In dem alten Städtlein, das ich nun vom
Seegestade her durch den ungeheuren Tor-
bogen betrat, begann erst eigentlich meine Lust-
reise. In diesen Gegenden hatte ich vorzeiten
eine Weile gelebt und mancherlei Sanftes und
Herbes erfahren, wovon ich jetzt da oder dort
noch einen leisen Duft und Nachklang anzu-
treffen hoffte.

Ein Gang durch nächtige Straßen, von er-
leuchteten Fenstern her spärlich bestrahlt, an
alten Giebelformen und Vortreppen und Erkern
vorüber. In der schmalen, krummen Maien-
gasse hielt mich vor einem altmodischen Herren-
hause ein Oleanderbaum mit ungestümer Mah-
nung fest. Ein Feierabendbänklein vor einem
andern Hause, ein Wirtsschild, ein Laternen-
pfahl taten dasselbe und ich war erstaunt,
wieviel längst Vergessenes in mir doch nicht
vergessen war. Zehn Jahre hatte ich das Nest
nimmer gesehen, und nun wußte ich plötzlich
alle Geschichten jener merkwürdigen, schönen
Jünglingszeit wieder.

Da kam ich auch am Schloß vorbei, das
stand mit schwarzen Türmen und wenigen
roten Fenstervierecken kühn und verschlossen
in der regnerischen Herbstnacht. Damals als
junger Kerl ging ich abends selten dran vorüber,
ohne daß ich mir im obersten Turmzimmer
eine Grafentochter einsam weinend dachte, und

mich mit Mantel und Strickleiter über hals-
brechenden Mauern, bis an ihr Fenster empor.

„Mein Retter,“ stammelte sie freudig er-
schrocken.

„Vielmehr Ihr Diener,“ antwortete ich mit
einer Verbeugung. Dann trug ich sie sorgsam
die ängstlich schaukelnde Leiter hinab — ein
Schrei, der Strick war gerissen — ich lag mit
gebrochenem Bein im Graben und neben mir
rang die Schöne ihre schlanken Hände.

„O Gott, was nun? Wie soll ich Ihnen
helfen?“

„Retten Sie sich, Gnädigste, ein treuer Knecht
wartet Ihrer bei der hintern Pforte.“

„Aber Sie?“

„Eine Kleinigkeit, seien Sie unbesorgt! Ich
bedaure nur, Sie für heute nicht weiter begleiten
zu können.“

Es hatte seither, wie ich aus der Zeitung
wußte, im Schloß gebrannt; doch sah man,
wenigstens jetzt bei Nacht, keine Spuren davon,
es war alles wie früher. Ich betrachtete mir
den Umriß des alten Gebäudes eine kleine
Weile, dann bog ich in die nächste Gasse ein.

Und da hing auch noch derselbe groteske
Blechlöwe im Schild des ehrwürdigen Wirts-
hauses. Hier beschloß ich einzukehren und
um Nachtlager zu fragen.

Ein gewaltiger Lärm schlug mir aus dem
weiten Portal entgegen, Musik, Geschrei, Hin
und Wider der Dienerschaft, Gelächter und
Pokulieren, und im Hofe standen abgeschirrte
Wagen, an denen Kränze und Girlanden aus
Tannenreis und Papierblumen hingen. Beim
Eintreten fand ich den Saal, die Wirtsstube
und sogar noch das Nebenzimmer von einer
fröhlichen Hochzeitsgesellschaft besetzt. An
ein ruhiges Abendessen, eine beschaulich er-
innerungsselige Dämmerstunde beim einsamen
Schoppen und ein frühes, friedliches Schlafen-
gehen war da nicht zu denken.

Indem ich die Saaltüre öffnete, drang ein aus-
gesperrter kleiner Hund zwischen meinen Beinen
durch in den Raum, ein schwarzer Spitzerhund,
und stürzte mit wütendem Freudengebell unter
den Tischen hindurch seinem Herrn entgegen,
den er sogleich erblickt hatte, denn er stand ge-
rade aufrecht an der Tafel und hielt eine Rede.

,,— und also, meine verehrten Herrschaften,“
rief er mit rotem Gesicht und überlaut, da fuhr
wie ein Sturm der Hund an ihm hinauf, kläffte
freudig und unterbrach die Rede. Gelächter
und Scheltworte erklangen durcheinander, der
Redner mußte seinen Hund hinausbringen, die
verehrten Herrschaften grinsten schadenfroh
und tranken einander zu. Ich drückte mich
beiseite, und als der Herr des Spitzerhundes
wieder an seinem Platz und wieder in seiner
Rede war, hatte ich das Nebenzimmer erreicht,
legte Hut und Mantel weg und setzte mich ans
Ende eines Tisches.

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