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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Oertel, Richard: Karl Haider
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0106

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KARL HAIDER.

alpenlandes zu schildern, über dem die
charakteristischen hohen Wolken ziehen. Seine
Landschaften sind meist ohne Staffage. Auf
ihren Wiesen weidet kein Vieh, auf ihren
Pfaden wandeln keine Menschen. Kaum daß
ein einsamer Vogel in den Lüften seine Kreise
zieht. Ich erinnere mich auch nur an eine
Landschaft (1882), wo er eine menschliche
Siedelung, eine zerfallende Bauernhütte mit
Baumgärtchen, angebracht hat. Dort sind auch
Schafe, die aber Thoma gemalt hat. Nur auf
den weiten Fernsichten, die er wie die älteren
Meister gern zur Darstellung bringt, grüßen,
der Wirklichkeit entsprechend, ganz von weitem
liebliche Dörfer mit schmucken Kirchtürmen.

Wenn aber Haider es doch gelegentlich
einmal unternimmt, einen Menschen, eine stille
Frauen- oder Mädchengestalt in seine para-
diesischen Landschaften einzuführen, wie lieb
mutet uns dann das an! Wir freuen uns,
jemand hier zu finden; etwas wie Menschen-
freundlichkeit kommt über uns und flößt uns
ein unbestimmtes Interesse für den einsamen
Spaziergänger ein. In solchen Bildern sind
Natur und Mensch wie in Eins geflossen. Die
Figuren sind weder Staffage zur Landschaft
noch die Landschaft nur Rahmen. Beide er-
gänzen und durchdringen sich gegenseitig. So
in den Phantasieschöpfungen der letzten Jahre:
im ,,Dante“-Bild, wo über der holden Frühlings-
welt doch der Druck eines beklommenen
Seufzers liegt, der sie an die Grenze heitrer
Resignation emporhebt, im „Heiligen Hain“ mit
der weißgekleideten germanischen Priesterin
vor dem nächtig dunklen Fichtenwald und in
der „Einfahrt in die Unterwelt“, wo Charon
die armen Seelen zu den düsteren Fels-
wänden hinrudert, aus denen es kein Entrinnen
mehr gibt. Diese Bilder haben etwas Grandioses
im Wurf und reichen in der geschlossenen
Komposition und Landschaft, in der geheimnis-
vollen Stimmung und im Gehalt unmittelbar
an Böcklin heran. Dann findet der Künstler
wieder schlichte Töne, wahre Herzlaute, wie
in dem „Mädchen mit Blumen“, das in seiner
Volkslied-einfachen und treudeutschen Weise
wieder an Thoma anklingt, wenn es auch in
jeder Beziehung unseres Meisters persönliche
Art hat.

In den Landschaften offenbart sich Haiders
Kunst ohne Frage am reinsten. Hier gelangte
seine Eigenart stärker zum Ausdruck als auf
figürlichem Gebiete, in dem er aber nicht minder
bedeutend ist. Haider hat mit dem Figuren-
bild begonnen und ist erst später zur Land-
schaft in größerem Maßstabe übergegangen.
Seine Porträts tragen denselben persönlichen
Zug, der uns an den Landschaften packt. Man
bewundert die starke und überzeugende Charak-
teristik, die Klarheit und Reinheit, den Gehalt
an Tiefe und seelischem Empfinden, den Zauber

der Stimmung, die ehrlich-tüchtige Vortrags-
weise, die Feinheit der Farbengebung, die
Größe der Auffassung bei aller Neigung für das
Einzelne in der Erscheinung. Überall Ruhe,
nirgends Aufregung; überall Schlichtheit und
Wahrheit, nirgends Künstelei und Pose. Wie
treuherzig, wie tief der Natur nachgefühlt ist
sein „Bauernmädchen mit Strohhut“, wie innig
und doch wie energisch! Wie liebevoll, an-
mutig und gemütsreich seine „Heilige Familie“ !
Aus jedem Bilde redet die Seele des Künstlers
zu uns, eine ernste, weit mehr zur Melancholie
als zum Frohsinn neigende Seele, wie sie auch
aus den Selbstporträts zu uns spricht. Für die
Höhe dieser Kunst ist es bezeichnend, daß
schon mancher Beschauer über der dargestellten
Figur oder Landschaft ganz das Bild vergaß
und dann unwillkürlich seine Gedanken zu der
Person des Künstlers wendete. „Ein wahres
Kunstwerk ist nur dasjenige,“ äußerte Haider
einmal im Gespräch mit mir, „das aus einem
inneren Gefühl hervorging und dieses Gefühl in
die Seele des Beschauers zu übertragen weiß.“
Es ist an der Zeit, durch eine Gesamt-
ausstellung von Haiders Bildern einen Über-
blick über sein ganzes Schaffen zu gewinnen.
Leicht mag es freilich nicht sein, die ziemlich
verstreuten Werke zusammenzubringen und die
verschollenen aus der früheren Zeit ausfindig
zu machen. Aber vielleicht gelingts, wenn es
energisch in die Hand genommen wird. Gerade
Haiders Bilder kommen in ihrer Schlichtheit auf
den gewöhnlichen Ausstellungen erfahrungsgemäß
nicht zur rechten Geltung. Auf den kleineren
Kollektivausstellungen, die leider immer nur
über die letzten Jahre unterrichteten, hat man
seine Kunst immer viel mehr schätzen gelernt,
als es der bunte Lärm und das Flitterwerk der
großen Bildermärkte bei einem oder zwei sich
in der Menge verlierenden Werken gestattet.
Aber es ist noch etwas anderes, was eine
solche Gesamtausstellung sehr wünschenswert
erscheinen läßt. Vielleicht wissen nur wenige,
wie reich und vielseitig dieses Schaffen war,
und wie gleichmäßig im Wert! Haider hat
von Jugend auf mit einer staunenswerten Ge-
wissenhaftigkeit und Solidität gearbeitet, eine
ernste Mahnung für unsere jüngeren Künstler,
die so gern von einer Technik zur andern
springen, mindestens so ein Dutzend Bilder in
einem Jahre malen zu müssen wähnen und
sich Zeit und Mühe verdrießen lassen, ihr
Talent in ernster, sorgsamer Arbeit zum Aus-
reifen zu bringen! Haider hat an einem Bilde
nicht selten sechs und mehr Monate, durch-
schnittlich aber sicherlich drei bis vier Monate
gemalt, bei täglichem, fleißigem Schaffen. Da-
her fehlt bei ihm die Ungleichmäßigkeit im
Werte der einzelnen Schöpfungen, von der be-
kanntlich selbst Böcklin nicht freizusprechen
ist; von anderen ganz zu schweigen.

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