Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Poppelreuter, Josef: Wilhelm Leibls "Frauen in der Kirche"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0199

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
WILHELM LEIBLS „FRAUEN IN DER KIRCHE“.

lösung aus Paris mitgebracht, ohne dabei von
der eigentlich koloristischen Revolution des
Freilichts berührt worden zu sein.

Wie merkwürdig aber nun von hier aus der
Schritt zu den „Frauen in der Kirche“ innerhalb
kaum eines Jahrzehnts. Er scheint mir eine der
bemerkenswertesten Wendungen in der deutschen
Malergeschichte des 19. Jahrhunderts zu sein.

Ich zweifle für meinen Teil nicht daran, daß
bei den „Frauen in der Kirche“ das Profil des
Mädchens seine Anregung in gewissen be-
wundernswerten Porträts Holbeins hat; um
irgend eines herauszugreifen, nehme man das
Porträt des Sir George aus Cornwallis im
Städelschen Institute. Dies leugnen wollen kann
entweder nur der, welcher etwa sich bestreben
zu müssen glaubt, unsern Maler von der Alt-
meisternacheiferung als von einem Vorwurf
zu reinigen, als ob diese denn unselbständigere
Dinge erzeugt habe, wie etwa die Nachfolge
der größten in der Renaissance hinter den Alt-
meistern der Antike! — oder aber der, welcher
Leibis Verhältnis zu Paris geflissentlich als das
Wesentlichste an seiner ganzen Kunst hinstellen
wollte. Die „Frauen in der Kirche“ sind indes
unzweifelhaft eine Abschwenkung von Paris.
Wie ist diese zu verstehen? Ich denke daraus,
daß ein Künstler, der die Kraft in sich fühlte,
jedwede Schwierigkeit, welche die Pinselführung
bieten kann, zu überwinden, sich selbst die
Frage vorlegte: wo liegt nun zuletzt der höchste
Ruhm, in der malerischen Auflösung des reifen
Velasquez und Rembrandt, oder aber bei den
deutschen Meistern der Feinmalerei, bei Holbein
und seinen Zeitgenossen? Er entschied sich für
das letztere. Und so tat er jenen Griff, welchen
die deutschen Maler seit Beginn des 19. Jahr-
hunderts immer wieder auf die Meister der
deutschen Blütezeit getan, wo immer wieder
die monumentale Größe der Gestalten Dürers
vor den Augen eines Cornelius, eines Rethel
auftauchte; ihn tat auch Wilh. Leibi, indes
nach einer ganz andern Seite: er, der das eigent-
liche Malenkönnen aufs höchste gesteigert, alle
Wirkungsmöglichkeiten des Pinsels von Grund
aus erforscht und sich zu eigen gemacht hatte,
brachte unserm Holbein seine Huldigung dar.

Es dürfte interessant sein, belegt zu sehen,
wie er selbst über den Wert seines Meister-
werks dachte. Er hat das niedergelegt in dem
Entwurf eines Briefes an dessen Besitzer Herrn
Schön.* Da dieser sich durch einige unwesent-
liche Risse um die Zukunft des Bildes besorgt
gezeigt, sucht er ihn zu beruhigen. Er beruft
sich auf sein stetiges Bestreben zu technischer
Solidität, wie er stets „mit der größten Sorgfalt
und Einfachheit, die überhaupt möglich ist“,
gemalt habe. „Das Bild wird bleiben wie es
jetzt ist, und wird sich nicht mehr verändern,

* Ich verdanke die Kenntnis der Briefe sowie Erlaubnis
zur Veröffentlichung der grossen Liebenswürdigkeit des Herrn
Rechtsanwalt Dr. Leibi in St. Johann-Saarbrücken.

im Gegenteil wird es mit der Zeit an Harmonie
gewinnen wie auch meine früheren Arbeiten.“
Er rät ab, irgendwelche Prozeduren zur Er-
höhung des Glanzes vorzunehmen, „da ich ab-
sichtlich einen schwachen Firnis genommen
habe, weil es mir durchaus zuwider ist, die
Bilder mit übermäßigem Glanz zu bedecken,
wie es jetzt gebräuchlich ist.“ Er freut sich
über die gute Wirkung des Bildes, „wo mehrere

Jahre Arbeit und Mühe daran hängen.

Fürchten Sie nichts für die Zukunft des Bildes.
Wenn sich Malerei, wobei jede unsolide Farbe
und Mittel ängstlich vermieden sind, nicht hält,
so kann sich überhaupt keine Malerei halten“.

Die Begeisterung der Franzosen für das Bild,
das niemand mehr wie sie selbst — wenigstens
die einsichtigen unter ihnen — im tiefsten
Innern als etwas außer ihrer Schule Stehendes
empfinden mußten, war außerordentlich. Es ist
freilich bitter für uns, daß sich in das Dokument
stolzer Genugtuung, die der Künstler hierüber
empfand, ein Ton der Verbitterung von seltener
Schärfe ob der mangelnden Anerkennung im
eigenen Vaterlande eingemischt hat. In einem
Briefe an Herrn Schön nach erfolgtem Abschluß
des Ankaufs sagt er: „Von Paris erfahre ich, daß
ich einen ungeahnten Erfolg habe; so wurden
mir von unbekannter Hand Zeitungen übersendet,
welche ganz übertriebene Lobeserhebungen ent-
halten, z. B. Figaro vom 10. Mai. Sie werden jetzt
übrigens auch mit mir darüber einig sein, daß,
wenn Paris nicht existierte, es dem deutschen
Neide gelungen wäre, mich vollkommen in
den Skat zu legen. Nun, meine Hauptfreunde
kenne ich schon.“ Davon wird man abziehen
müssen, was von Misanthropie und Verstim-
mung dabei ist, wie sie lange Kämpfe um An-
erkennung und selbstgewählte Einsamkeit stets
erzeugt haben. Uns bleibt interessant das edle
Selbstbewußtsein des Künstlers, das er in dem
Vergleich von dem in den Skat gelegten Jungen
so burschikos aber treffend ausdrückt. Es
bleibt vor allem bestehen auch die Anerkennung
der Franzosen für diese deutsche Leistung, ihre
Huldigung, die sie bewußt oder unbewußt der
Nation Dürers und Holbeins darbrachten.

Auf der Deutschen Jahrhundert-Ausstellung
hat man eine „Leibischule“ geschaffen. Alle
Ehre für unsern Meister! Der Nachdruck aber,
welchen man dieser Schule gegeben hat, scheint
mir aus einem Bestreben hervorgegangen zu
sein, welches nicht gutgeheißen werden kann,
nämlich Leibis Zusammenhang mit Paris stärker
zu betonen, als es den kunstgeschichtlichen Vor-
gängen deutscher Malerei entspricht. Jene
Künstler, welche man zur Leiblschule zu-
sammengruppiert hat, sind über denjenigen Stil
nicht hinausgekommen, der in Leibis Entwick-
lungsgang ein interessantes kurzes Intermezzo ge-
bildet, von dem er sich in seinen Hauptwerken
aber losgelöst hat, wie selten ein Künstler sich
von früheren Entwicklungsstadien loslöste.

147
 
Annotationen