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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 4
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Hamann, Richard: Der Impressionismus in Leben und Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0208

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DER IMPRESSIONISMUS IN LEBEN UND KUNST.

Worten Nietzsches ein charakteristisches Be-
nennen und ein gewagtes, kritisierendes Ver-
gleichen in einem Wort zusammen. Oder eine
antithetische Wortwahl fügt diese Kontrast-
beziehung dem bloßen Sinn hinzu. Das gipfelt
schließlich im Paradoxon (Nietzsche, Wilde),
das immer verlangt, daß man zugleich den
wörtlichen Sinn oder Unsinn des Satzes durch-
schaut und den Nebensinn heraushört. Schon
in jeder ironischen Ausdrucksweise liegt das.
Bei Nietzsche und überhaupt im impressio-
nistischen Denken finden sich ferner gern An-
spielungen auf irgend ein bekanntes Diktum,
etwas vorher Gesagtes, das man pointierend und
verdrehend in die Replik hineinnimmt (Nietz-
sche: Alles Vergängliche ist nur dein Gleich-
nis). Diese Zwei- und Mehrdeutigkeit moderner
Gedanken bringt etwas ganz Ähnliches wie
Malerei und Musik, eine Rauhigkeit, etwas
Schillerndes, Schwebendes, und in diesem
Reichtum zugleich die Unfaßbarkeit, das Un-
präzise einer nebulösen Ferne. Das ergibt zu-
letzt den Typus des Philosophen, dem es auf
Sachlichkeit, ja auf Wahrheit gar nicht mehr
ankommt, sondern in erster Linie auf die Ent-
faltung intellektueller Reize, der deshalb — von
keinem Ziel beschwert, bei jeder Gelegenheit
philosophiert, verliebt ist in die zufällig auf-
schießenden gedanklichen Beziehungen, bloße
symbolische Verhältnisse, Analogien, der sich
in sachlicher Beziehung gehen läßt, nur be-
ständig auf der Hut ist, niemals über einen
noch so trivialen Gegenstand etwas Triviales
zu sagen, und deshalb den Stil schraubt und
windet, und sei es bloß im Tonfall oder Gestus.
An Stelle einer Philosophie über die Welt tritt
eine Gelegenheitsphilosophie, der jeder Gegen-
stand recht ist, ein Fahrrad, eine Nähmaschine,
das Geld. Eine solche Augenblicksphilosophie
verlangt gebieterisch den Salon, weil sie der
Anlässe bedarf und auch des Publikums, da ja
nicht das eigene Bedürfnis, sich über die Welt
klar zu werden, das Motiv des Philosophierens
abgibt, sondern die Produktion intellektueller
Kunstwerke. An Stelle des in sich gekehrten,
schweigsamen Philosophen tritt der redselige.

Nur im Salon kann sich dann jene andere
Seite des Impressionistischen entfalten. Die
schnelle, augenblickliche und abtuende Reaktion,
die Schlagfertigkeit, die, wenn sie sich niemals
Zeit nimmt, über etwas ernsthaft nachzudenken,
auch niemals Zeit braucht, eine Entgegnung zu
finden (Lord Henry in Wildes Dorian Gray).
Damit gelangen wir aber schon aus der Philo-
sophie hinaus und hinein in die Form der mo-
dernen Geselligkeit und des modernen Lebens.
Die Pflicht feiner Gesellschaftlichkeit, niemals
lange bei einem Gegenstand zu verweilen, keine
Reden zu halten, alles Doktrinäre zu vermeiden,
kennzeichnet die impressionistische Unterhal-
tung, die dann auch eine Angst vor der bloßen
Mitteilung und vor dem Trivialen erzeugt hat.

Unter den seelischen Zuständen, die den
modernen Menschen erfüllen, stehen in erster
Linie alle jene feinen Nuancen von Erlebnissen,
die sich in ihrer Feinheit gar nicht ausdrücken
lassen. Differenziert und sensitiv zu sein, sind
besondere Vorzüge in den Augen dieser Kultur.
Eine Vorliebe für alles Blasse und Zarte, für
morbide Grazie und raunendes Gespräch, für
das „ich weiß nicht, was soll es bedeuten“,
das Unfaßbare, Unsagbare und Wunderbare wie
das Lächeln der Mona Lisa läßt sich überall
konstatieren (Jacobsen: Nils Lhyne und mehr
noch Frau Marie Grubbe). Die gesteigerte Reiz-
barkeit und Hypersensibilität bedingt auch eine
Empfindlichkeit und Verletzlichkeit im Verkehr,
die die leisesten Nuancen in der Stimme und
Haltung der Menschen bemerkt und auf sich
bezieht, so daß der Wille beständig Brechungen,
Umbiegungen erfährt, und ungezählte Impulse
in wenigen Momenten den Menschen in eine
Fülle von Motivierungen und leisen Ent-
schließungen versetzen, die auch hier einen
schwanken, oszillierenden und schwebenden
Seelenzustand ergeben. Zugleich verlangt man
dieselbe Rücksicht auf die leisesten physio-
gnomischen Äußerungen eigener Stimmungen, übt
und wünscht jene zarteste aller Rücksichten,
der es eine Qual ist, sich direkt auszusprechen.
Nietzsche spricht mehr als einmal von dieser
zarten Rücksicht und meint auch damit die
Fähigkeit für das Differential der Erlebnisse.
Selten ist auch so viel von einer Geteiltheit
und Verdoppelung des Ichs geredet worden, bis
hinein in die wissenschaftliche Theorie (Dessoir).
Die Verletzlichkeit und Empfindlichkeit im Ver-
kehr bedingt, daß man hier nicht gerade auf
ein gestecktes Ziel losgeht, sondern alle Nu-
ancen der Billigung und Mißbilligung, alle Mo-
mente des Widerhalls zugleich mitempfindet,
und so jedes Tun begleitet ist von einer Fülle
kritischer Beleuchtungen, jede Handlung kalei-
doskopisch gefärbt ist im Zwitterlichte der
Reflexion. Der Mangel an Naivität und die
Selbstkritik, die bei aller Produktion sich ein-
mischen, sind typisch - moderne Symptome
(Vorliebe für Tagebücher, Hebbel, Grillparzer,
Hartleben, Amiel). Das Ideal des Lebens wird
dann der Selbstgenuß in jener Form, wo das
Ich sich spaltet in eine wollend-handelnde und
eine zuschauend-kritisierende Seele, eine Ver-
doppelung, die sofort in der Vervielfältigung
derselben Situation die Rauhigkeit des Im-
pressionismus erkennen läßt. Man wird an
das Raffinement des Lüstlings erinnert, der für
den Liebesgenuß das Zimmer mit Spiegeln aus-
legen ließ, um sich in dieser Situation zu-
gleich in sämtlichen Ansichten schauend und
reflektierend zu genießen (vergl. Huysmanns,
A. Rebours).

Es liegt schon in allem bisher Gesagten,
daß auch die Deutlichkeit der Aussprache im
Verkehr gemieden wird, und an deren Stelle
 
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