Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Schäfer, Wilhelm: Starke Talente: in der Ausstellung des Verbandes der Kunstfreunde zu Köln
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0226

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
STARKE TALENTE.

Dinge aufzufassen; nach der Stillosigkeit des
Impressionismus wieder stilvoll zu werden,
innere Haltung zu gewinnen. In dieser Be-
ziehung gibt es zurzeit keine rücksichts-
losere Kunst in Europa als die der jungen
Schweizer; hier, v/ährend wir Deutschen noch
immer staunend vor Manet und Monet, Renoir
und Cezanne stehen: hier vollzieht sich der
kühne revolutionäre Vorstoß, zu dem die arg
gebräuchlichen Freiheitsreden passen könnten.
Seine Gründe aber liegen nicht in Paris,
sondern im deutschen Boden.

Keiner von unsern Jungen ist dem Schweizer
Hodler an monumentaler Kraft und dem
Schweizer Welti an sprudelnder Schöpferkraft
zu vergleichen; wohl aber sind ihrer einige da,
die neben ihnen genannt werden können als
urtümliche germanische Begabungen: Cissarz,
Deußer, Haueisen, Hofer, E. R. Weiß. Diese
Fünf sind in Köln mit einigen Gleichgesinnten
zu einem Saal vereinigt, der für den Verband
das Wesentlichste an dieser Ausstellung sein
sollte. Mitten in dem Saal aber hängt ein
Bild von Thoma, der sich als Führer dieser
Jugend prachtvoll hält. Es ist die große Lauter-
brunnen-Landschaft aus dem Jahre 1904, eins
der fabelhaftesten Stücke moderner deutscher
Malerei und eine feste Burg gegen alle Fix-
fertigen, die den unbequemen Meister auf die
Gemütsseite legen möchten. Seit Segantini das
erste eigene Wort über die Alpenwelt und als
malerische Darstellung ihm überlegen.

Von den fünf Herzogen seines Gefolges ist
Cissarz der unabhängigste. Die Malerei dieses
Mannes gehört zum Eigensten, was wir zur-
zeit in Deutschland zeigen können; bei allen
Jungen findet man leichter Ahnen und Vorbilder
als bei ihm. Es ist keine ausgesprochene Öl-
technik, was er übt auch wenn er in Öl malt;
es ist eine Art, farbige Anschauungen umzu-
setzen, wobei das Material (bald Öl, bald Tem-
pera, Wachsfarbe, oder Aquarell, oder Pastell)
nebensächlicher wird als meist. Als Buch-
künstler von eleganter Strenge (nicht immer
originell in der Grunderfindung, aber tadellos
in der Durchführung) haftet seinen farbigen
Blättern etwas von der Gegenstandslosigkeit der
Traumbilder an. Alle sind rein aus der Farbe
gebaut, insofern dem Laien manchmal unver-
ständlich, aber immer anziehend durch einen
feinen, jedoch starken Geschmack. Meist sind
es Stücke vom Meer, im Charakter der Ostsee,
sehr oft Köpfe oder Figuren vor der bedeckten
Helligkeit der Seelandschaft; niemals landläufig,
immer im Charakter einer seltenen Naturerschei-
nung; seine Kunst fängt meist erst da an, wo
man sagen möchte, dergleichen sei nicht mehr
zu malen.

Ein besonderes Wort verdient sein „Dekora-
tives Gemälde“ im Hauptsaal. Ursprünglich für
den Olbrichschen Musiksaal auf der Weltausstel-

lung in St. Louis gemalt, verdankt es nach Mit-
teilungen des Malers der siebenten Beethoven-
schen Symphonie seine Anregung und zwar
dem Übergang vom Allegro- zum Prestosatz.
So angenehm es sein mag, dies zu wissen,
nötig hat das Bild diese Erklärung nicht und
es ist alles weniger als ein „malerischer Ge-
danke“ zur Musik. Es ist selbst Musik, traum-
haft und stark im Klang, und vor allem in
seiner verhaltenen Farbe, in seiner weiten
Linienführung dekorativ im höchsten Sinn.
Wann ersteht der Mäcen, der unserm Volk
einen Zyklus solcher Bilder aus dieser Hand
beschert? Tausende um nicht zu sagen Millionen
werden jährlich vertan für nichtsnutzige Wand-
malereien, und diesem Künstler fiel noch keine
Aufgabe zu; er muß mit kunst- und buchgewerb-
lichen Arbeiten seine große Begabung zu Tode
hetzen.

Gegen ihn ist Deußer, ein geborener Kölner,
von einer sachlichen Kühle; sein auffälligster
Vorzug eine konsequente Öltechnik, wie sie nur
Trübner meisterhafter beherrscht. Was er aus-
stellt, sind drei Erinnerungsbilder vom Exerzier-
platz — also im höchsten Sinn Impressionen —
zweimal Kürassiere, einmal Zivilreiter, jedes in
einigen Stunden völlig prima hingeschrieben;
in einer Pinselführung, die schlichtweg meister-
haft ist. Meist aus wenigen Tönen aufgebaut,
in der Zeichnung namentlich der Bewegung
köstlich, in der Farbe von großer Reinheit: sind
diese wahrhaften Meisterwerke selbstverständ-
lich und unscheinbar zugleich. Wen es reizt,
möge einmal beachten, wie neben ihrer Klarheit
selbst ein solches Werk wie das Lauterbrunnen-
tal eine Spur Kreidigkeit bekommt, und wie
die kleine Landschaft im deutschen Saal nicht
nur den Hodler sondern überhaupt alles andere
an Helligkeit schlägt, ohne sich an feinster Hal-
tung etwas zu vergeben. Deußer scheint nichts
von einem Poeten an sich zu haben, wenigstens
nichts von einem sentimentalen; ganz unbestech-
lich gibt er den sachlichsten Bericht von der
Natur, aber eine Malerei, an der alles in Pracht
und Köstlichkeit vibriert. Seitdem er — dem
ich einmal vorhielt, daß er sich zu lange „auf
dem Felde“ aufhielt; diesen Titel führten eine
Zeitlang seine Bilder — mit diesen Dingen vor-
getreten ist, gehört Düsseldorf wieder zu den
modernen Kunststätten. Er mag ein schwieriges
Vorbild sein, aber wenn man in Düsseldorf um
ein solches verlegen ist, ein besseres gibt es
nicht für die Leute am Niederrhein.

Haueisen, Hofer und E. Weiß sind Süd-
deutsche, als zeitweilige Schüler von Thoma
Freunde, und in ihrer Malerei insofern ähnlich,
als sie durch eine gewisse Sentimentalität hin-
durch mußten. Auch sind sie alle drei weniger
fertig als Deußer und Cissarz; die Möglichkeit
von Stilwandlungen liegt noch zu nah; und
so schön das ist, was sie bis heute gaben,

162
 
Annotationen