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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Voigt-Diederichs, Helene: Bloss ein Mädchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0248

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BLOSS EIN MÄDCHEN.

hinter der niedrigen Kuhhauswand entstand.
Pfähle wurden eingetrieben, gestohlene Latten
draufgenagelt und beflochten mit Rainfarn. Der
Boden wurde mit des Steinhauers Hammer,
den sie nach Feierabend dafür benutzt, hart
und glattgeklopft und dann zum Schweine-
koben hergerichtet, in kleine Ställe abgeteilt
und mit weißen und schwarzen Kieselsteinen
bevölkert.

Einmal, als sie lange gesessen und ihre
Herde gefüttert und hin und her getrieben
hatte, bemerkte Suse im Weggehen, daß eins
von den rostigen Hufeisen fehlte, die sie zum
Schmuck am Dach entlang aufgehängt hatte.
Hufeisen waren ihr besonderes Heiligtum, Suse
war voll Wut, und ihr Verdacht richtete sich
sofort gegen Walter, den sie fern durch das
Gemüseland streichen sah.

Der leugnete nicht, als sie auf ihn zurannte,
und ihm seine Tat ins Gesicht sagte.

„Willst du es mir nicht schenken?“ fragte
er nur, und seine Stimme war so traurig wie
beinah immer jetzt.

„Nein, das ist meins, gib es mir gleich
wieder her,“ sagte sie herb und kniff ihn am
Ärmel.

„Wenn ichs dir nun nicht gebe?“

„Du sollst es mir aber geben!“ Sie stampfte
mit dem Fuß. „Sonst, kriegen will ich es
wohl!“ und das Mädchen hob drohend die
Hand gegen den großen und kräftigen Jungen.

Er hielt mit einer ängstlichen Bewegung,
die Suse noch mehr aufbrachte, den Arm vors
Gesicht, ließ ihn sofort wieder fallen und sagte
ganz kalt: „Schlag nur — aber dann gibst du
mir einen Kuß!“

Suses zornige Hand sank vor Staunen über
diese neue und unmögliche Frechheit, und im
selben Augenblick verließ sie der Mut. Sie
wich den Augen des Knaben aus und tat dann,
was sie noch vor niemand und vor nichts ge-
tan: sie riß aus, durch den verwachsenen Garten
weg, über den Hof, ums Haus herum, durch
der Mutter Stube, ließ das warnende „Tür zu“
achtlos hinter sich verhallen und war, eh sies
noch selber wußte, schon wieder zu irgend
einem Fenster hinaus.

Sie hatte sich beim unbedachten Sprung
den Fuß umgeknickt, und nun humpelte sie
mit verbissenen Tränen am Gartengitter entlang.
Aber sie vergaß ihren Schmerz, als sie in
einiger Entfernung Walter suchend über den
Hof laufen sah, im blauen Matrosenanzug, und
mit solchen hochgeschwenkten Beinen, wie nur
Stadtjungs sie haben. Sie duckte sich hinter
dem grünen Pfosten, vertrieb sich die Warte-
zeit mit den aschgrauen Kellerasseln, die an
der Wand entlang liefen, und als die Gefahr
vorbei war, schlüpfte sie in die Klüterkammer
hinüber, wo an der Hobelbank der alte zittrige
Böttcher stand.

Suse sah ihm einen Augenblick zu, fühlte
wie scharf die Messer waren, steckte ein paar
Drahtstifte in ihre Tasche Nägel kann man
immer brauchen —, kroch dann tiefer in die
Kammer hinein und bereitete sich ein Versteck
in den lockig gerollten Spänen.

So saß sie lange und wartete, und als die
Zeit ihr lang wurde, fing sie an mit Federn
aus dem leeren Eiernest ihre Strümpfe zu ver-
zieren. Dann zählte sie nach an der langen
Reihe von Perlmutterknöpfen, mit denen ihr
Kleidchen vom Hals bis zu den Knien besetzt
war, in welchem Wagen sie einmal fahren
würde: Kutsch, Eque, Dreck, und so fort, bis
auf Eque der letzte Knopf kam, und sie wohl
oder übel die Equipage einstrich, obgleich sie
auf einen lustigen Dreckwagen gehofft hatte.

Nun gabs noch: Samt, Seide, Zitz, Kattun —
aber gerade als ihre Hand den ersten kalten
Knopf zum Abzählen ergriffen hatte, hörte sie
Schritte draußen, sah Walter atemlos in der
sonnenhellen Tür stehen und hörte ihn fragen,
hochdeutsch wie nur Stadtjungen fragen: „Ist
Suse hier?“ — „Ik häw de Deern ni sehen,“
sagte verdrießlich der alte Mann und zog ohne
aufzusehen die Schneide durch das Holz.

Suse saß noch hingekauert und ohne ans
Abzählen zu denken eine Viertelstunde lang,
ein bißchen beklommen fast von der Gefahr,
die über ihr geschwebt. Dann schlich sie da-
von mit einem dankbaren Blick auf den Bött-
cher — Deern hatte er zwar gesagt, aber bei
alten Leuten nimmt mans nicht so genau —
Hobelspäne in den Haaren und mit weißen
Federlein die Strümpfe zierlich besteckt.

Sie kam verspätet zum Kaffee, trank nicht
am Tisch, sondern nahm ihre zusammen-
geklappten Schnitten mit in den Garten und
fehlte, als Mutter und Geschwister und alle
anderen sich zum Badeweg versammelten.

Sie antwortete nicht, als sie gerufen wurde,
oder wenigstens, ihres Gewissens wegen, nur
so leise, daß kein Mensch es hören konnte.
Zufrieden mit ihrem Alleinsein kletterte sie
umher in den schlanken Eschen des Bruches,
die viele Meter hoch waren, dabei aber kaum
dicker als ein Mannsarm, und sich, saß man
oben den Wolken nah, wiegten und bogen wie
man nur wollte.

Ach, das Baden. Vorn beim Schilf die
Mädchen, hinten bei den großen Steinen die
Jungs, die aber im Wasser spritzend und pru-
stend gern ein bißchen näher kamen. Nee,
wenn da so viele badeten, mochte Suse nicht.
Und zufrieden sang sie in den windigen grauen
Himmel hinein, leise hin und her schwankend,
und dann faßte sie plötzlich den nächsten
Stamm, zog ihn heran und sich ihm nach und
war mit behendem Eichhörnchensatz drüben im
nächsten Baum, wiegte sich und sang weiter.

* *

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