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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Kromer, Heinrich Ernst: Schultze-Naumburg: "Kulturarbeiten"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0263

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weh nach einem Haus, das nicht mehr ist oder
doch zu verschwinden droht. Wenn man sieht,
was um uns her an hunnenmäßiger Verwüstung
geleistet worden ist, so bedauert man, wie der
Herausgeber dieser Zeitschrift in seinem Marks-
burgaufsatz, daß es für die Zerstörung guter
Bauten noch keinen Paragraphen im Strafgesetz
gibt. Denn es handelt sich bei unserer Archi-
tektur guten Stils um unersetzliche Kunstwerke;
Kunstwerke nicht geringer als manches alte
Gemälde, das in seiner Galerie nicht mit den
Fingerspitzen berührt werden darf; oder als eine
Vase, ein Spiegel, eine Fayence, wofür die
Museen wetteifernd ihr Gold hinlegten und die
Gelehrten ihre Monographien schrieben. Erst
wenn man sieht — wie allein diese vier Bände
„Kulturarbeiten“ es zeigen — welch eine große
Menge des Vortrefflichen noch in unserm Lande
vorhanden ist, kann man sich beglückwünschen,
daß dieses treffliche Werk als Mahner und
Warner erschienen ist. Noch rechtzeitig! Aber
es war höchste Zeit. Denn was innerhalb der
letzten zwanzig Jahre an einfach-schöner und
charaktervoller ländlicher wie städtischer Bau-
kunsthat fallen müssen, wodurch das ganzeWesen
einer voreinst ganz eigenartigen und persönlich
herausgebildeten Landschaft international unifor-
miert wurde, zeigt kaum ein Landstrich deutlicher
und wehmütiger als die Rheingegend. Orte, die
arm sind, oder die keine Industrie bekommen,
halten sich noch am sichersten beim früheren
Aussehen; der Eindruck z. B., den der alte
Teil von Rhens auf den macht, der ihn zum
erstenmal betritt, ist unauslöschlich. Auch
Oberspay, das ehemals blühende, jetzt brach-
liegende Salmfischerdorf, zeigt nach dem Rhein
hin noch alle Spuren seiner früheren guten
bürgerlichen Architektur. Was aber ist aus
Boppard geworden? Und aus St. Goarshausen;
aus Aßmannshausen und Rüdesheim? Wer
würde noch staunen und es als etwas Fremdes

empfinden, wenn über Nacht Boppard an den
Zürcher See verpflanzt würde? Oder Goarshausen
nach Kolmar, Rüdesheim nach Stuttgart? Auch
Bacharach ist in Gefahr und hat schon Einiges
eingebüßt. Und doch hatten gerade diese
schönen Rheinstädtchen beinahe an jedem ihrer
alten Häuser ein Vorbild, um einen fühlenden
Baumeister bei Neubauten, die etwa nötig
wurden, so zu leiten, daß ohne viel Mühe der
völlig eigne Charakter des Städtchens gewahrt
blieb, sogar ohne daß die Baupolizei zu kurz
kam! Und die Gefahr ist noch nicht gebannt;
der allgemeine Geschmack geht durchaus auf
das Schablonenhaus. Ein Rheinländer, den ich
im Eisenbahnwagen traf, sprach seine Freude
darüber aus, daß das alte Gerümpel endlich
allenthalben wiche. Es gehe nur zu langsam,
sagte er; vor einigen Jahren habe jedes dieser
Städtchen seinen eifrigen Verschönerungsrat
gehabt. Man sollte solche Wohltäter gewähren
lassen; man sehe ihnen heute leider zu sehr
auf die Finger. Und er sang ein Loblied auf
den roten Hahn . ..

Aber indem ich da klage, zeigt sich doch
allenthalben, daß es besser wird. Die neueste
Richtung der Baukunst hat durchaus gute An-
sätze und hat verstanden, auf den alten bürger-
lichen Stil zurückzugreifen, ohne sein Nach-
treter zu werden. Zwei meiner ausgewählten
Beispiele aus den „Kulturarbeiten“ lassen er-
kennen, wie modern neuesten Stils man eigent-
lich früher schon gebaut hat. Aber trotz diesen
guten Zeichen möchte man, wie ein Berliner
Kritiker sich ausgesprochen hat, Schultzes
Bücher in einer Million Exemplaren über ganz
Deutschland ausgestreut sehen. Es ist noch
sehr viel zu tun ...

Beim Abfassen dieser Besprechung kommen
mir zwei erfreuliche Nachrichten unter die
Augen. Sollte der Witterungswechsel bereits
in der Luft liegen? Der Ort Burgau, der an

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