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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Hackemann, August: Kleist und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0294

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Christian Landenberger. Kommunikantin.

blieb, so ist dies auf dieselbe allgemeine Be-
schränkung menschlicher Verhältnisse zurück-
zuführen, die auch Kleist nicht zur vollen Reife
kommen ließ. Der Maurersohn hatte genau so
schwer mit der Misere des Daseins zu kämpfen,
wie der Sprößling des alten Soldatengeschlechts,
und was er innerlich erlebte, das beweist erst
recht seine nahe Verwandtschaft zu dem,
dessen Vollender er im gewissen Sinne ge-
nannt werden kann. Beide wachsen, leiblich
wie geistig, unter dem gleichen Gestirn. Hoff-
nung und Erfüllung, Freude und Leid schlingen
ihre Fäden so seltsam und so ähnlich in das
Gewebe ihres Daseins, daß ein liebevolles
Suchen nach dem, was ihnen gemeinsam war
und was sie trennte, wohl nicht unverständlich
erscheint.

Kleists wie Hebbels Wiege stand in Nieder-
deutschland, und wenn der eine mit Stolz auf
seine alte Offiziersfamilie, die dem Preußischen
Staate 18 Generale geschenkt hatte, blickte, so
schaute der andere nicht weniger verehrungsvoll
in die große Vergangenheit seines Dithmarschen-
tums. Germanische Kampfesfreudigkeit und in

harter Zeit erworbene Zucht und Einfachheit,
dies alte Erbteil brandenburgisch-niederdeutscher
Geschichte, ward ihnen als Morgengabe vom
Genius ihrer Heimat in die Wiege gelegt, und
wenn trotzdem diese Zucht nicht immer stand-
hielt unter den furchtbaren Stürmen, die sie
umbrausen sollten, wenn ihre eingeborene Herren-
natur sich aufbäumte in selbstverzehrender Wut
gegen die Wucht der Verhältnisse, dann war es
nicht Mangel an Charakter, zuchtlose Selbstsucht,
die sie ins Ungewisse trieb, sondern ein Zuviel
an Temperament, das, allzu hoch gespannt, nach
Entladung suchte. Die ernste, tiefe Unterströ-
mung fehlte ihrem Leben keineswegs. Hebbel
mag sie vom Vater, der mit unendlichem Fleiße
sich und die Seinen durchzuringen versuchte
und doch vor der Zeit ins Grab sank, geerbt
haben; in Kleists Familie war ein düster-
melancholischer Zug so gut Familienschatz, wie
der ernste Drang nach Wissenschaft und künst-
lerischer Betätigung. Ihn spüren wir in den
Versen des Frühlingssängers, ihm fiel, wie später
der Dichter, ein Vetter zum Opfer, mit seinem
selbstgewählten Tode frühzeitig das Leben des

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