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Römisch-germanisches Korrespondenzblatt: Nachrichten für römisch-germanische Altertumsforschung — 5.1912

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Nr. 2 (März u. April)
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Reinecke, Paul: Cambodunum
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https://doi.org/10.11588/diglit.25475#0032

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ι8

über Reschenscheideck und den Fernpass der Donau (Iller- und Lechmündung)
zustrebte. Die frührômische Stadt entwickelte sich jedoch nicht an der Stelle
des keltischen Oppidums, sondern auf der Hochterrasse ostlich der Iller, gegenüber
der Burghalde und dem heutigen Kempten: die Hochterrasse auf dem anderen
Illerufer, der sog. Lindenberg, war ungleich geeigneter fiir die Anlage einer Stadt
als der Taleinschnitt mit dem isoliert aufragenden Burgkegel, zudem vereinigten
sich hier bereits vier der fiinf nach Cambodunum führenden Hauptstrassen 3). Môg-
licherweise lag auf dieser Fluss-Seite auch ein Kastell der Frühzeit, fiir das jedoch
noch jeder positive Anhalt fehlt.

Jedenfalls blühte die Stadt in der ersten Kaiserzeit ziemlich schnell auf. Aber
ihre Weiterentwicklung wurde empfindlich getroffen, als unter Vespasian der grosse
Durchgangsvérkehr vom Rhein zur Donau auf andere Bahnen gelenkt wurde und
allmâhlich der Fernpass zugunsten der Brennerroute an Bedeutung verlor. Fiir
Cambodunum wurden mit dem II. Jahrhundert diese Verhâltnisse eher noch ungiinstiger.
Der ständige wirtschaftliche Riickgang der Stadt seit dieser Zeit prâgt sich deutlich
darin aus, dass sie nach dem Fall des Limes in der spâten Kaiserzeit nicht mit einer
Mauer umgeben, sondern zur Burghalde zurückverlegt wurde 4 5), deren engbegrenztes
Vorland durch eine (bereits in einem grossen Segment nachgewiesene) Stadtmauer
leichter abzuschliessen war. Im IV. Jahrhundert war also der Bestand der Stadt
ganz wesentlich zusammengeschrumpft. An diese spätrömische Siedelung knüpft
seinerseits das mittelalterliche Kempten an.

Auf dem östlichen Illerufer gegenüber Kempten war die rômische Stadt auf
dem Teile der Hochterrasse zu vermuten, welcher westlich vom Flusseinschnitt,
südlich von einem Seitental, ôstlich von einer langgestreckten (drumlinartigen)
mässigen Erhebung und nôrdlich von einem Flohlwegeinschnitt begrenzt wird. Als
hier nicht zu weit von der Mitte des Westrandes neben einer Terrainmulde 1885
der Spaten eingesetzt wurde, hatte man sofort einen überraschenden Erfolg. Man
war auf das Forum der Stadt gestossen, das in mehrjähriger Campagne naher
erforscht wurde. In der Folge legte man nordwestlich an das Forum anschliessende
Strassenzüge und Privathauser frei. 1910 erfolgte weiter nordôstlich neben demHof
Unterlindenberg die Aufdeckung einer grossen Thermenanlage, deren Untersuchung
1911 gleichzeitig mit der Ausgrabung einer Anzahl Gebaude neben der Strasse vom
Forum zu den Thermen vollendet wurde.

Für die Geschichte der Stadt auf dem Lindenberge ergaben die bisherigen
Grabungen an der Hand .der freilich vorerst wenig bedeutenden Kleinfunde 6) wie
der Maueruntersuchungèn Folgendes.

Die Anfänge des rômischen Cambodunum umschreiben jungarretinische Sigil-
laten 6); zahlreiche augusteische Münzen uud einzelne frührömische Fibeln gehôren
nicht notgedrungen noch in augusteische Zeit, sondern fügen sich sehr wohl dem
keramischen Befunde ein. Die bisher ältesten Niederschlâge aus dem Boden der
Stadt auf dem Lindenberg fallen also in die Zeit des Tiberius. Man darf vermuten,
dass die Stadt im Zusammenhang mit der Organisation Râtiens als Provinz um das
Jahr 20 n. Chr. angelegt wurde. Um die Fundreihe kurz zu skizzieren (soweit die
Funde gesichtet werden konnten), sei erwahnt, dass vorvespasianische Sigillata aus
Südgallien nicht fehlt, so wenig wie die vorvespasianische lokale Ware nach Spât-
latèneart, die wir bisher nur vom Auerberg kannten. Ueberaus reichlich liegen
südgallische Sigillaten der flavischen Zeit vor, vespasianische in grôsserer Fülle als
jüngere. Merklich tritt in den Funden Sigillata des II. Jahrhunderts numerisch

3) Wie z. B. auch der Vicus Faimingen sich an dem Fâcher der auf dem Nordufer
der Donau auseinanderführenden Rômerstrassen entwickelte.

4) Auf der südbayerischen Hochebene können wir eine âhnliche Verlegung bei
Passau-Bojodurum annehmen (Kastell Bojodurum auf dem norischen Innufer gegenüber
der Ilz-Mündung, die es zu überwachen hatte, das keltische Oppidum und die spat-
rômische (?) Befestigung hingegen in der Altstadt Passau). Analog ist auch das Verhâltnis
von Abodiacum-Epfach zum Lorenzberg.

5) die teilweise aus unzusammenhângendem oder nicht klar geschichtetem Schutt
stammen, der chronologisch für die Einzelbauten nur schwer verwertbar ist.

6) In Südbayern sind solche bisher nur noch vom Auerberg, aus Aislingen und
von Langacker bei Reichenhall bekannt (sowie von Bregenz).
 
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