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Römisch-germanisches Korrespondenzblatt: Nachrichten für römisch-germanische Altertumsforschung — 5.1912

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Nr. 5 (Sept. u. Okt.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.25475#0093

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Beginn etwa ins fünfte Jahrtausend verlegt.
Diese Ansetzung ergibt sich aus der Ver-
gleichung der beiden spâtern Gruppen mit
de'r chronologischen Fixierung der Kykla-
denkultur und der âgyptischen Dynastien,
nach welcher die zweite iberische Gruppe
mit grössern Ganggrâbern, aber noch ohne
Gewôlbekonstruktion, mit bessern Stein-
gerâten, Schieferplatten, Kalksteinzylindern
u. a. in die zweite Halfte des vierten Jahr-
tausends, die letzte Gruppe mit Kuppel-
bauten, grossem Fortschrittin Keramik und
Silexbearbeitung nebst Anfangen von Kup-
fer und Bronze in den Beginn des dritten
Jahrtausends gesetzt wird.

Eingehender werden dann die Verhâlt-
nisse in den Megalithgrabern von Nordpor-
tugal bei Pouca d’Aguiar erôrtert, nicht nur
weil sie zur primitiven Gruppe gehôren,
sondern weil sie für die Entwicldung der
Schrift von der grossten Bedeutung zu sein
scheinen. Es finden sich dort Kiesel mit
sternfôrmigen Furchen, Grübchen, gravier-
ten Zeichnungen, zoomorphe Steine, rohe
Menschenfiguren, vor allen Dingen aber
piktographische Zeichen, die mit spatern
înschriften der pyrenaischen Halbinsel und
des ostmittellândischen Kulturkreises über-
einstimmen, zweifellos aber. weit früher
anzusetzen sind, als die erst um 3000 v. Chr.
erscheinenden kyprisch-kretischen Inschrif-
ten. Das Schriftsystem müsste demnach
von Südwesteuropa ausgegangen sein, wie
auch vereinzelte Nachrichten z. B. bei Strabo
überliefern, aber selbst die nordportugie-
sischen Inschriften dürften noch früher in
Beziehung stehen zu dem ausgehenden Pa-
laolithikum in Nordspanien und Frankreich,
wo primitive Schriftzeichen auf bemalten
Kieseln von Mas d’Azil und Renntierstâben
bekannt sind. Ursprünglich wohl nur Eigen-
tums-, Zauber- oder mnemonische Marken,
vielleicht stilisierte Tierfiguren, wurden sie
allmâhlich symbolisch und schliesslich pho-
netisch, und im 2. Jahrtausend taten die.
Phônizier den weiteru Schritt zur Buchsta-
benschrift, weshalb sie lange als die Erfin-
der der Schrift überhaupt galten.

Die nachsten drei Kapitel schaffen nun
weiteres Material herbei, um diesen west-
östlichen Zusammenhang der âltesten süd-
europäischen Kultur zu erweisen, zunâchst
in der wichtigen Keramik. Gewisse Gefâss-
formen finden sich nicht nur in den âltesten
Grabern Spaniens, sondern auch auf Si-
zilien, den Kykladen, in den untern Schich-
ten Trojas, den Gräbern der altesten Dyna-
stien Agyptens und sogar in Ostind'en ver-
treten, und zwar weiter ôstlich auch in
spâtern Perioden; es seien nur bomben-
förmige Gefässe, konische Nâpfe, Pithoi,
Krüge mit elliptischer Offnung, Schalen
mit Füssen, Becher mit hohlem Fuss,
Wärmglocken, Drillingsgefâsse u. a. ge-
nannf. Einige Formen wie gewisse Arten
der Dekoration sind auch in der mittel-

europäischen und donaulândischen Kera-
mik bekannt, Sonnen-, Spiral-, Palmetten-
Motive sind durchaus nicht auf den Orient
beschrankt. Andere Parallelen scheinen
weniger schlagend, z. B. wenn es sich um
Knochengerâte, kleine Silexldingen des
Tardenoisien, spatelfôrmige Feuersteinge-
râte handelt; eigenartig sind dagegen in
Südeuropa die als Wurfringe gedeuteten
Steinringe, marmorne Armringe, aus Spon-
dylusschalen hergestellte Ringe, endlich
Schieferplatten, die wie die pintaderas zur
Kôrperbemalung dienten. Auch in Tracht
und Wohnweise finden sich Anklânge
zwischen Darstellungen von Menhirs und
Grotten des Westens und minoischen wie
mykenischen Gebilden des Ostens, ferner
in der Anlage von Hôhlenwohnungen, sich
verjüngenden Sâuien in hohler Basis, kyklo-
pischen Bauten, endlich in der Anwendung
vonDreschschlitten undBenutzung vonHâu-
ten zum Uebersetzen der Flüsse. Auch auf
religiösem Gebiet werden auffallige Paral-
lelen für die in Rede stehenden Gegenden
und Zeiten beigebracht. Gewisse Idole von
violinkastenartiger Brettform kommen in
Spanien wie in Sizilien, Troja, Tiryns, Cypern
vor, und wenn auch Sirets Herleitung vom
Polypen als dem Symbol des im Wasser
schaffenden Urprinzips ebenso wie seine
Ableitung der westeuropâischen Kultur aus
dem mykenischen Kreise verworfen wird,
so ist doch die Tatsache der Aehnlichkeit
erwiesen, und mag man auch für die Er-
klârung des Beils als Attribut der Frau in
der âltesten Zeit verschiedner Meinung sein,
so wird doch wahrscheinlich gemacht, dass
es wie die Betonung des epigastrischen
Dreiecks im Westen früher nachweislich
sei. Dasselbe gilt von Nacktidolen, die
keineswegs aus dem babylonischen Kreise
oder dem Astartekult erst stammen, son-
dern schon viel früher im südwestlichen.
Megalithgebiet bekannt sind. Und wenn
weiter kegelförmige Anhângsel, segmen-
tierte Geschiebesteine, s.g. Bâtylien, Figuren
auf Schalensteinen, Sonnen- und Kreuz-
figuren verbreitet sind, so scheint ihr zeit-
liches Verhältnis sich allmählich ahnlich
aufzuhellen und jedenfalls kultlich gedeutet
werden zu müssen wie die Darstellungen
von Schlangen, gehôrnten Gottheiten, Mond-
bildern, Hand- und Fussdarstellungen, über
deren so weite Verbreitung oft über-
raschende Notizen gesammelt sind.

In den Schlussbemerkungen wird klar
zusammengefasst, dass aus all diesen Paral-
lelen gewiss ein Zusammenhang zwischen
den West- und Ostmittelmeerïândern in
den âltesten Zeiten gefolgert werden muss,
ein solcher zwischen den entsprechenden
Megalithbauten aber damit auch anzuer-
kennen und keine selbstândige Entstehung
derselben mehr zu vermuten wâre. Ferner
ist für viele dem reinen Neolithikum ange-
hörende Analogien dem Westen das hôhere
 
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