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sitzen. Bei Gelegenheit der Konzertprobe für die Aufführung des B-Dur-
Trios wurde nun die Bitte um die Locke vorgebracht. Halm selbst erzählte
die Geschichte viele Jahre später in folgender Weise: In der Probe war
auch meine Frau, „eine geborene Sebastian! aus Trier, welche Beethoven
immer seine Landsmännin nannte“, gegenwärtig. „Bei dieser guten Gelegen-
heit ersuchte mich meine Frau, den Beethoven um eine Haarlocke zu bitten.
Allein, da Beethoven nicht hörte und mehrere Menschen zugegen waren,
nahm ich Anstand, mit Beethoven persönlich durch sein Notizbuch zu unter-
handeln Ich ersuchte daher Karl Holz, den Wunsch meiner Frau Beethoven
vorzutragen. In einigen Tagen erhält meine Frau durch einen Dritten eine
Locke, die Beethovens Haar sein soll.“ Bald danach „hatte Karl Groß, ein
geschickter Dilettant auf dem Violoncell, mir gesagt: ,Wer weiß, ob das
Haar echt ist?1 und doch hatte ich keinen Verdacht.“ Halm besuchte damals
Beethoven in der Angelegenheit der Quartettfuge. Nach seiner Erinnerung
wäre es ein Besuch gewesen, bei dem das vierhändige Arrangement von
Halm überreicht wurde. Das scheint mir ein Gedächtnisfehler zu sein. Halm
fährt dann fort: „Wie ich Weggehen wollte, trat er mit einem furchtbaren
Ernst im Gesicht mir entgegen mit den Worten: ,Sie sind mit der Haar-
locke betrogen! Sehen Sie, mit solchen furchtbaren Kreaturen bin ich um-
geben, daß sie alle Achtung, die sie respektablen Menschen schuldig sind,
auf die Seite setzen. Sie haben Haare von einer Geiß.“ Und so sprechend,
gab er mir in einem weißen Bogen Papier eine bedeutende Quantität seiner
Haare, welche er sich selbst ganz rückwärts ausschnitt, mit den Worten:
,Das sind meine Haare.1 Wahrscheinlich hat er die Haare von hinten ab-
geschnitten, weil es dort noch schwarz war, während vorn schon alles
schneeweiß war. — So ging ich im Triumph mit diesem erhaltenen seltenen
Geschenk nach Hause. — Nicht so meine Frau. Sie war über Karl Holz
seine Niederträchtigkeit entrüstet, schrieb sogleich einen den Umständen an-
gemessenen Brief. Ein oder zwei Jahre später stand meine Frau bei dem
offenen Grabe Beethovens, 29. März 1827, und sah auf der anderen Seite
Holz weinend stehen, der sie nicht aus Scham ansehen konnte. Dadurch
gerührt, reichte sie ihm übers Grab die Hand zur Versöhnung.“ Obwohl
auf Halm selbst zurückgehend, ist die Erzählung nicht in allen Einzelheiten
als unbedingt richtig anzunehmen. Es gibt noch zwei andere Überlieferungen,
die in manchen und nicht unwesentlichen Punkten von Halms Mitteilungen
abweichen. Beethovens Biograph Schindler war nicht Augenzeuge der Vor-
gänge, die sich an die Halmsche Beethovenlocke knüpfen. Deshalb ist er
auch nicht ganz sicher in seiner Erzählung, die in der ersten Auflage seiner
Beethovenbiographie noch gänzlich fehlt und in der zweiten anders ge-
stimmt war, als in den folgenden Auflagen. Anfangs machte er Angriffe
auf Holz, die dann wegblieben. Ganz mißglückt ist seine Mitteilung, als
hätte Beethoven um die Büberei gewußt. Das Heimtückische, das in dem
ganzen Vorgang steckt, lag Beethoven gänzlich fern. Der Meister war oft
grob und unhöflich, aber immer gerade ins Gesicht. Schindlers Dar-
stellung ist zu verwerfen. Aber die dritte Abwandlung der Geschichte,
die wieder aus der Familie Halm stammt, ist nicht ganz zu übersehen.
Danach hätte sich Frau Halm an Beethovens Neffen gewendet, um die
Locke zu erhalten. Der Neffe Karl nun hätte sich bei einem seiner Be-
kannten ein Büschel graulicher Haare von einem Ziegenbock verschafft „und
sitzen. Bei Gelegenheit der Konzertprobe für die Aufführung des B-Dur-
Trios wurde nun die Bitte um die Locke vorgebracht. Halm selbst erzählte
die Geschichte viele Jahre später in folgender Weise: In der Probe war
auch meine Frau, „eine geborene Sebastian! aus Trier, welche Beethoven
immer seine Landsmännin nannte“, gegenwärtig. „Bei dieser guten Gelegen-
heit ersuchte mich meine Frau, den Beethoven um eine Haarlocke zu bitten.
Allein, da Beethoven nicht hörte und mehrere Menschen zugegen waren,
nahm ich Anstand, mit Beethoven persönlich durch sein Notizbuch zu unter-
handeln Ich ersuchte daher Karl Holz, den Wunsch meiner Frau Beethoven
vorzutragen. In einigen Tagen erhält meine Frau durch einen Dritten eine
Locke, die Beethovens Haar sein soll.“ Bald danach „hatte Karl Groß, ein
geschickter Dilettant auf dem Violoncell, mir gesagt: ,Wer weiß, ob das
Haar echt ist?1 und doch hatte ich keinen Verdacht.“ Halm besuchte damals
Beethoven in der Angelegenheit der Quartettfuge. Nach seiner Erinnerung
wäre es ein Besuch gewesen, bei dem das vierhändige Arrangement von
Halm überreicht wurde. Das scheint mir ein Gedächtnisfehler zu sein. Halm
fährt dann fort: „Wie ich Weggehen wollte, trat er mit einem furchtbaren
Ernst im Gesicht mir entgegen mit den Worten: ,Sie sind mit der Haar-
locke betrogen! Sehen Sie, mit solchen furchtbaren Kreaturen bin ich um-
geben, daß sie alle Achtung, die sie respektablen Menschen schuldig sind,
auf die Seite setzen. Sie haben Haare von einer Geiß.“ Und so sprechend,
gab er mir in einem weißen Bogen Papier eine bedeutende Quantität seiner
Haare, welche er sich selbst ganz rückwärts ausschnitt, mit den Worten:
,Das sind meine Haare.1 Wahrscheinlich hat er die Haare von hinten ab-
geschnitten, weil es dort noch schwarz war, während vorn schon alles
schneeweiß war. — So ging ich im Triumph mit diesem erhaltenen seltenen
Geschenk nach Hause. — Nicht so meine Frau. Sie war über Karl Holz
seine Niederträchtigkeit entrüstet, schrieb sogleich einen den Umständen an-
gemessenen Brief. Ein oder zwei Jahre später stand meine Frau bei dem
offenen Grabe Beethovens, 29. März 1827, und sah auf der anderen Seite
Holz weinend stehen, der sie nicht aus Scham ansehen konnte. Dadurch
gerührt, reichte sie ihm übers Grab die Hand zur Versöhnung.“ Obwohl
auf Halm selbst zurückgehend, ist die Erzählung nicht in allen Einzelheiten
als unbedingt richtig anzunehmen. Es gibt noch zwei andere Überlieferungen,
die in manchen und nicht unwesentlichen Punkten von Halms Mitteilungen
abweichen. Beethovens Biograph Schindler war nicht Augenzeuge der Vor-
gänge, die sich an die Halmsche Beethovenlocke knüpfen. Deshalb ist er
auch nicht ganz sicher in seiner Erzählung, die in der ersten Auflage seiner
Beethovenbiographie noch gänzlich fehlt und in der zweiten anders ge-
stimmt war, als in den folgenden Auflagen. Anfangs machte er Angriffe
auf Holz, die dann wegblieben. Ganz mißglückt ist seine Mitteilung, als
hätte Beethoven um die Büberei gewußt. Das Heimtückische, das in dem
ganzen Vorgang steckt, lag Beethoven gänzlich fern. Der Meister war oft
grob und unhöflich, aber immer gerade ins Gesicht. Schindlers Dar-
stellung ist zu verwerfen. Aber die dritte Abwandlung der Geschichte,
die wieder aus der Familie Halm stammt, ist nicht ganz zu übersehen.
Danach hätte sich Frau Halm an Beethovens Neffen gewendet, um die
Locke zu erhalten. Der Neffe Karl nun hätte sich bei einem seiner Be-
kannten ein Büschel graulicher Haare von einem Ziegenbock verschafft „und