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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Elftes Heft (Februar 1917)
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Walden, Herwarth: Weib: Komitragödie/ Fün Akfte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0129

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Mädel:
August erlaubtes. Mir ist alles erlaubt.
Wohnst du weit von hier?
Der Mann im Gehrock:
Ich will Sie heiraten.
Mädel:
Viele Männer warten auf mich.
Der Mann im Gehrock:
Ich will neben Ihrem Bett sitzen.
Mädel:
Das ist mir zu langweilig. Außerdem weiß ich
keinen Tag, wo in der Nacht mein Bett steht.
Der Mann im Gehrock:
Ich hatte Sie belogen. Ich hatte einen Apfel in
der Tasche und habe ihn verweigert.
Mädel:
Was reden Sie nur immer von den Aepfeln.
Kommen Sie nach Hause.
Der Mann im Gehrock:
Nach Hause
Mädel:
ln Ihr Haus. Oder wollen wir die ganze Nacht
auf dem Geländer sitzen. Nein, ich habe meinen
Mantel vergessen und August wird fest
schlafen.
Der Mann im Gehrock zieht seinen Geh-
rock aus.
Mädel:
Nein, wie komisch Sie in Hemdsärmeln aus-
sehen. Und Röllchen tragen Sie?
Der Mann im Gehrock:
Was verstehen Sie unter Röllchen?
Mädel:
Komm, Kleiner. Ich werde Dir das feine Leben
beibringen. Warum ziehst Du denn den Rock
aus, ist Dir schon zu heiß?
Der Mann ohne Gehrock:
Der Rock soll Sie decken statt Ihres Mantels.
Mädel:
Meine Beine können sich sehen lassen, aber
Ihre Röllchen nicht. Komm, kleiner Christus.
Wohnst Du weit?
Der Mann ohne Gehrock:
Ich wohne am Ende der Straße auf dem Feld.
Mädel:
Kann man bei Dir die Sonne aufgehen sehen?
Das wäre fein. Das habe ich schon lange auf
meinem Programm.
Der Mann ohne Gehrock:
Ich werde Ihren Schlaf beschützen.
Mädel:
Ich schlafe nie vor Sonnenaufgang. Außerdem
brauche ich keinen Schutzmann.
Polizist:
Da haben wir ja die Person. Na und Sie hat
sie schon bis auf den Rock ausgepowert.
Mädel:
Aber Schutzmännchen, der kleine Christus
geniert sich doch für mich.
Polizist:
Kommen Sie mit, los.
Mädel:
Wohnst Du weit?
Polizist:
Machen Sie keine Witze im Amt.
Mädel:
%eh doch dein Amt aus. Du hast einen so schönen
Schnurrbart. Der muß sich herrlich küssen
lassen. Sei lieb, Wilhelm.
Polizist:
Woher wissen Sie denn meinen Vornamen?
Mädel:
Das ganze Revier kennt doch den schönen
Wilhelm. Und nun sei lieb und nimm mich mit.
Ich bin sehr müde.

Polizist:
Drei Uhr. Jetzt hat mein Kamerad die Runde.
Ich brauche nichts mehr zu sehen.
Mädel:
Sieh mich an, Wilhelm, bin ich nicht schön
und lieb.
Polizist:
Sie müssen nicht glauben, Herr, Herr Professor,
daß ich unsittlich bin. Ich bin stets korrekt
im Amt.
Mädel:
Jetzt hat aber seine Stunde geschlagen.
Polizist:
Der Herr wollte doch mit Dir gehen.
Mädel:
Der Herr wartet. Nicht wahr? Oder Du gehst
schon immer zum Feld. Der Wilhelm hat so
schweren Dienst. Alle Menschen müssen fröh-
lich sein. Du bist gewöhnt zu warten.
Der Mann ohne Gehrock:
Wo soll ich warten?
Mädel:
Setz Dich auf das Geländer. August erlaubt es.
Ehe Du Dir den Rocfk angezogen hast, bin ich
wieder zurück.
Der Mann mit dem Gehrock in
der Hand:
Sie werden sich in der Morgenluft erkälten.
Mädel:
Verliere die Röllchen nicht. Ich komme bald.
Komm Wilhelm.
Polizist:
Nichts für ungut, Herr Professor. Donnerwetter,
da kommt der Kamerad.
Der zweite Polizist:
Morgen, Kamerad. Schöne frische Luft.
Polizist:
Ich muß die Person abführen und dann ins Bett.
Der zweite Polizist:
Was hats denn gegeben?
Polizist:
Unsittliche Aufführung.
Der zweite Polizist:
Eine hübsche Person. Man könnte ein Auge zu-
drücken.
Mädel:
Nicht wahr, Herr Wachtmeister. Und ich drücke
ihm das andere zu.
Polizist:
Kommen Sie, Fräulein.
Der Himmel zwinkert.
Der zweite Polizist:
Na, Männeken, etwas übernommen? Worauf
warten Sie denn?
Der Mann im Gehrock:
Ich warte auf meine Braut.
Der zweite Polizist:
Die ist wohl in der Brautnacht?
Der Mann im Gehrock:
Ich warte.
Der zweite Polizist:
Warten Sie nun so schon lange?
Der Mann im Gehrock:
Mein ganzes Leben.
Der zweite Polizist:
Etwas zu früh verlobt, mein Lieber. Ist sie hier
im Haus?
Der Mann im Gehrock:
Ich warte.
Der zweite Polizist:
Sie scheinen auch ein solider Vegetarier zu sein.
Dabei sind Sie ganz anständig angezogen. Was
sind Sie denn sonst, wenn man fragen darf?
Der Mann im Gehrock:
Botaniker.

Der zweite Polizist:
Sie kleben so die Blumen auf Papier. Eine
hübsche Beschäftigung. Das habe ich in der
Schule auch gern gemacht. Bringt denn das
etwas ein, wenn man fragen darf?
Der Mann im Gehrock:
Ich bin nicht ganz abhängig.
Der zweite Polizist:
Dann würde ich auch lieber Blumen kleben.
Aber was machen Sie denn hier nachts auf der
Straße? Sie werden sich doch nicht an fremden
Blumen vergreifen?
Der Mann im Gehrock:
Ich habe mich nie vergriffen.
Der zweite Polizist:
Mich geht es ja nicht an, aber ich würde doch
an Ihrer Stelle lieber auf das Feld gehen.
Der Mann im Gehrock:
Ich warte.
Der zweite Polizist:
Wo haben Sie denn die Trommel?
Die Haustür wird aufgeschlossen.
Der Pförtner in Hemdsärmeln:
Morgen, Herr Wachtmeister. Sdhöne frische
Luft. Na, Sie warten noch immer. Ihre Kleine
ist schon längst fort.
Der Mann im Gehrock:
Ich warte.
Der Pförtner:
Die Kleine hat ihren Mantel vergessen. Warten
Sie, Sie können ihn ihr mitnehmen.
Der Mann im Gehrock:
Ich warte.
Der zweite Polizist:
Sie scheinen sich eine merkwürdige Pflanze ge-
klebt zu haben. Mich geht es eingentlich nichts
an, aber als Botaniker würde ich mehr auf Ord-
nung halten.
Pförtner an der Tür:
Hier ist der Lumpen. Nicht mal auffangen
können Sie.
Der Mann im Gehrock:
Ich danke Ihnen im Namen der Dame.
Pförtner:
Herr Wachtmeister, trinken wir einen kleinen
Frühschoppen?
Der zweite Polizist:
Gemacht, vielleicht tut der Herr Botaniker mit?
Der Mann im Gehrock:
Ich warte.
Die Haustür wird geschlossen.
Die Sonne zwinkert.
Mädel steigt aus der Droschke:
Also brav, daß Du solange gewartet hast. Hof-
fentlich ist die Sonne noch nicht aufgegangen.
Steig ein.
Der Mann im Gehrock:
Hier ist der Mantel.
Mädel:
Ich dachte gar nicht, daß so ein feiner Mann wie
Du mit dem August verkehrst.
Der Mann im Gehrock:
Ich leide um Dich, Jungfrau.
Mädel:
Keine Faxen, steig ein.
Die Haustür wird geöffnet.
Der zweite Polizist:
Nanu?
Mädel:
Wilhelm hat beide Augen zugedrückt. Nein, wie
nett der August in Hemdsärmeln aussieht.
Pförtner:
Du solltest mir erst im Gehrock kennen. Mit
Manschetten.

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