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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Walden, Herwarth: Über allen Gipfeln: Die metergroßen Dichter der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0058

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DER STURM / ZWEITES VIERTELJAHRHEFT

Spiegel zu machen. Zum Beispiel Herr Dauthendey. Von ihm wird
gemeldet: „Ganze Gemälde, wirklich vorhandene oder erträumte, werden in
Worte umgesetzt, und es ist keineswegs unbekannt, daß ein malerisches
Original zu dem Gedicht Wintersonne existiert: es ist von Hans Olde und
hängt in der Nationalgalerie zu Berlin“. In dem Gedicht zu dem Original
heißt es: „Opalfarben schweben über dem Schnee, kaum hörbar, zart wie der
Atem der Perlen. Aber über allem bricht rauschend das Licht im Duftguß
aus weißem Kern, steht in weißem Rosa und höher Gold, blasses Silbergold
und blütenentfaltet wie eine Blume.“ Das ist zweifellos ein Spiegelbild.
Bewundernd bemerkt der Professor: „Die ganze Farbenschkala wird hier
benötigt, das ganze Schpektrum wird abgewandelt." Aber der Professor hält
diese Gemälde doch nicht für vollendete Gedichte, weil ihnen ein gedankliches
Moment fehlt, was nach seiner Ansicht auch der Autor selbst bemerkt hat:
„Aber der Dichter liebt es auch, mit einem „wie wenn . .“, „wie einer der .
„als ob . am Schlüsse ein kleines leises gedankliches Moment hinzuzusetzen,
das die Landschaftsskizze zu einem Gedicht abrunden soll.“ Man merkt,
Herr Dauthendey fühlt sich durch die reine Landschaft kompromittiert. Die
gedankliche Abrundung genügt dem Professor aber nicht. Denn „nicht um
Gedichte, sondern in der Tat um Fragmente, Skizzen, Notizen, die höchstens
einmal für Gedichte verwendet werden könnten, handelt es sich hier. So ist
jenes scheinbar nur äußerliche Moment erklärlich, daß Dauthendey meist keine
Überschriften findet für seine Verse“. Das muß Herr Dauthendey dem
Professor in einer intimen Stunde anvertraut haben. Anders wäre es uner-
klärlich, wie ein Gehirn auf so einen abgerundeten Gedanken kommen kann.
Das Gedicht ohne Überschrift ist wie das Bild ohne Titel. Man weiß nicht,
was es bedeuten soll. Trotzdem finden wir auch in Herrn Dauthendey
einen Gipfel: „So finden wir denn von Dauthendey das Malerische, rein
Eindrucksmäßige in der Impressionslyrik auf den Gipfel geführt.“ Da sitzt
das Malerische nun auf dem Gipfel und spiegelt sich in Original-Ölgemälden
der Berliner Nationalgalerie.
Ganz anders steht es hingegen mit Herrn Rilke. Das ist ein toller Bursche:
„Dieses ganze Buch ist ein einziges Ringen mit Gott. Niemals hat sich etwas
Gleiches in der Dichtung vollzogen, wie dieses gewaltsame, unablässige Sich-
bohren mitten in Gott hinein." Das Hineinbohren scheint mir eine Verletzung
der Kampfregeln des Ringkampfes zu sein. Ebenso wie Dauthendey bei seinen
Gedichten relativ unbeteiligt ist, scheint es Rilke auch mit dem lieben Gott

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