Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Über allen Gipfeln: Die metergroßen Dichter der Gegenwart
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0074

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DER STURM / ZWEITES VIERTELJAHRHEFT

expressionistische Umdeutung dieses verfilmten Schillerkitsches leicht bedenklich:
Wenn wir so auch wissen, daß wir ihn mit den Maßstäben des Naturalismus
bei völlig veränderter Kunstauffassung nicht mehr zu messen haben, so ver-
führt uns dennoch der jugendliche Dichter inkonsequenterweise selbst dazu.“
Ja, Verehrtester, wenn sich auch die Kunstauffassung völlig geändert hat, was
veranlaßt Sie, diese jugendliche Unbegabung partout zum Expressionismus
umzudeuten? Aber, Bedenken hin, Bedenken her, er geht weiter mit dem
Sohn durch Dick und Dünn: „Der Freund entführt den Sohn in eine nächt-
liche Versammlung junger Menschen, einberufen von einem Klub zur Unter-
haltung der Freude und dieser Klub ist eben im Begriff, sich zu einem Bund
zur Propaganda des Lebens zur Umgestaltung des Lebens umzubilden." Wir
kommen also gerade noch zurecht. Der Freund redet im Namen Hasenclevers
einen Leitartikel: „Denn bedenke, daß der Kampf gegen den Vater das gleiche
ist, was vor hundert Jahren die Rache an den Fürsten war. Heute sind wir
im Recht! Damals haben gekrönte Häupter ihre Untertanen geschunden und
geknechtet, ihr Geld gestohlen, ihren Geist in Kerker gesperrt. Noch kann
jeder Vater ungestraft seinen Sohn hungern und schuften lassen und ihn
hindern, große Werke zu vollenden". Herr Hasenclever junior konnte das
große Werk vollenden. Papa erlaubte es. Im Stück selbst folgt jetzt die Tat:
„Und wirklich vermag der Freund den Sohn zu jener ungeheuren Tat. Er
verrät dem Vater des Sohnes Aufenthalt. Der Vater läßt den jungen Flüchtling
gefesselt durch einen Polizeikommissar zurückholen.“ Die Tragödie bricht sich
Bahn. Der Sohn schillert dem Vater gegenüber in satten Farben: „Vater —
wer kennt es heute! Ich war ein Stiefkind nur. (Dieses Nur hinkt wegen der
Poesie hinten nach. Ich erinnere an das Schaukalsche Auch.) Habe ich je
einen Sohn, so will ich gut machen an ihm, was mir Übles geschehen. (Das
Ist ist gleichfalls der Poesie zuliebe weggelassen.) O wunderbar großes Licht,
könnt ich es erleben, eines süßen Kindes Behüter zu sein.“ Womit er hoffent-
lich nicht die Gouvernante meint. Sonst aber ganz brav geredet. „Der
Vater bleibt natürlich unbewegt, denn er hat noch ein Jahr juristische Gewalt
über ihn. Der Sohn wird fast zum Vatermörder, aber ehe er den schon
erhobenen Revolver abdrückt, rührt den Vater der Schlag.“ Herr Hasenclever
hatte sich vorgenommen, nur bis an die Schwelle zu gehen. Da mußte sich
der Schlag rühren. Man kann allerseits beruhigt sein: „Der Sohn wird in
die Welt gehen als ein Verkünder höchster Freiheit." Das Stück ist für den
Film unter dem Titel „Das Recht auf die Gouvernante" angenommen. Und

64
 
Annotationen