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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Reiter, Róbert: Abriss: Gesellschaft Künstler Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0086

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DER STURM / ZWEITES VI ER TELJAHRHEFT

Methoden, mit deren Hilfe materielle Werte für Gesellschaftsklassen an-
geeignet und enteignet werden; die Gewalt als letztes Argument, das im
Verhältnisse der Individuen und Klassen zueinander die konsequente Pro-
jizierung des stofflichen Lebensgefühls bedeutet.

7. Die Lösung der Krise kann nur das Resultat der den stofflich-gesell-
schaftlichen (Klassen-) Kampf überschreitenden Bestrebung sein, die
in der Gleichstellung der stofflichen und geistigen schöpferischen Faktoren
gipfelt. Dies ist die Fortsetzung des Anfangs auf einer höheren Stufe:
Stoff und Geist sind gleichzeitig, wie sie am Anfang gleichzeitig waren.
8. Die Form dieser Bestrebung ist nicht der ausschliesslich stoffliche
(Klassen-) Kampf, sondern die sozial-religiöse Bewegung. Sozial, das heisst
gesellschaftlich (stofflich), weil sie die materiellen Gefängnisrahmen sprengt;
religiös, weil sie den Menschen in den geistigen Zusammenhang der Ein-
heit des Universums zurückversetzt, aus dem die Auflösung des natür-
lichen Gleichgewichts ihn herausgerissen hat.

9. Das primäre (stofflich-geistige) Mittel dieser Bestrebung ist die
Schaffung des Embryonalgebildes der in Stoff und Geist ausgeglichenen
Lebensform. Diese Lebensform ist nicht das Verlangen nach dem Stoff
um des Stoffes willen, sondern die Betrachtung des Stoffes als Gegenstand
geistiger Offenbarungen. Diese Lebensform kommt im individuellen Rahmen
zustande und synthetisiert sich im Leben der Masse: die Lebensform der
Masse ist die Zusammenfassung des Lebens der Individuen, die Lebens-
form der Individuen ist der Mikrokosmos des Lebens der Masse.

10. Der Künstler ist ein schaffender Arbeiter: er trachtet nach dem
stofflich-geistigen Weltgleichgewicht, indem er schreibt, malt, komponiert,
baut. Von jedem anderen schaffenden Arbeiter (bewusster Entdecker,
Gelehrter) unterscheidet er sich erstens dadurch, dass er nicht mit Formen-
schemen arbeitet, nicht von fertigen logischen Resultaten ausgeht, sondern
das Chaos der Erscheinungen, das in Raum und Zeit unendlich ist, zum
Ausgang nimmt, um durch diesen hindurch zur neuen Form zu gelangen,
in welcher der geistige Zusammenhang des Universums zum Ausdruck

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