DER STURM / ZWEITES VIERTELJAHRHEFT
26. Das Kunstwerk ist sozial, denn der in ihren Brotbestrebungen zer-
klüfteten Gesellschaft gegenüber zeigt es die Einheit der universalen Syn-
these. Es ist im vollsten Sinne sozial, denn in seiner Form trägt es die
Lösung des Stoff-Problems: die Form ist kein aufrührerischer, sondern
in Geist beruhigter Stoff. — Der Mensch betrachtet das Kunstwerk, dieses
Betrachten reisst ihn durch die Form hinaus in das Universum, führt ihn
in den universalen seelischen Zusammenhang der Erscheinungen zurück,
aus dem die materielle Auflösung ihn herausgerissen hat. Das ist die
geistige Wirkung des Kunstwerkes, die dem Menschen Beligion gibt, die
Möglichkeit, zu seinen Geschwistern: den Bäumen und den Vögeln,
zurückzukehren.
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27. Die Bestrebung, die jetzt, wo die ersten Besultate der in der Kunst
stattgefundenen und zum Teil noch immer stattfindenden Gärung sich
zeigen, die Kunst an bestimmte gesellschaftliche Bewegungen binden
und zum Agitationsmittel degradieren will, ist ein Rückfall in den
Naturalismus: das Absterben der Kunst, denn jede Möglichkeit des
Schaffens hört auf, wo das Kopieren beginnt. Vom Gesichtspunkte
dieser Tatsache ist es ganz gleich, was den Gegenstand des Kopierens
bildet: ein Landschaftsteil oder gegebene gesellschaftliche Verhältnisse.
Das Kopieren steht auf keiner höheren Stufe, wenn es sich statt des
Stillebens auf Fabriken, marschierende Massen oder Barrikaden verlegt.
28. Dieser Rückfall in den Naturalismus ist das unterbewusste Spiegel-
bild des Rückganges der stofflich-revolutionären Bewegung, der sich in
immer schärferen Formen zeigt. Nicht auf die Kunst wirkt diese gesell-
schaftlich-wirtschaftliche Tatsache: die Kunst trägt stets erneuernde
revolutionäre Möglichkeit in sich — sie wirkt auf Menschen, die
sie von der kosmischen Kraftlinie der Kunst abgelenkt, aus dem Bestreben
nach der Synthese herausgehoben und zum Teil zurückgeworfen hat.
Robert Reiter
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26. Das Kunstwerk ist sozial, denn der in ihren Brotbestrebungen zer-
klüfteten Gesellschaft gegenüber zeigt es die Einheit der universalen Syn-
these. Es ist im vollsten Sinne sozial, denn in seiner Form trägt es die
Lösung des Stoff-Problems: die Form ist kein aufrührerischer, sondern
in Geist beruhigter Stoff. — Der Mensch betrachtet das Kunstwerk, dieses
Betrachten reisst ihn durch die Form hinaus in das Universum, führt ihn
in den universalen seelischen Zusammenhang der Erscheinungen zurück,
aus dem die materielle Auflösung ihn herausgerissen hat. Das ist die
geistige Wirkung des Kunstwerkes, die dem Menschen Beligion gibt, die
Möglichkeit, zu seinen Geschwistern: den Bäumen und den Vögeln,
zurückzukehren.
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27. Die Bestrebung, die jetzt, wo die ersten Besultate der in der Kunst
stattgefundenen und zum Teil noch immer stattfindenden Gärung sich
zeigen, die Kunst an bestimmte gesellschaftliche Bewegungen binden
und zum Agitationsmittel degradieren will, ist ein Rückfall in den
Naturalismus: das Absterben der Kunst, denn jede Möglichkeit des
Schaffens hört auf, wo das Kopieren beginnt. Vom Gesichtspunkte
dieser Tatsache ist es ganz gleich, was den Gegenstand des Kopierens
bildet: ein Landschaftsteil oder gegebene gesellschaftliche Verhältnisse.
Das Kopieren steht auf keiner höheren Stufe, wenn es sich statt des
Stillebens auf Fabriken, marschierende Massen oder Barrikaden verlegt.
28. Dieser Rückfall in den Naturalismus ist das unterbewusste Spiegel-
bild des Rückganges der stofflich-revolutionären Bewegung, der sich in
immer schärferen Formen zeigt. Nicht auf die Kunst wirkt diese gesell-
schaftlich-wirtschaftliche Tatsache: die Kunst trägt stets erneuernde
revolutionäre Möglichkeit in sich — sie wirkt auf Menschen, die
sie von der kosmischen Kraftlinie der Kunst abgelenkt, aus dem Bestreben
nach der Synthese herausgehoben und zum Teil zurückgeworfen hat.
Robert Reiter
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