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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Heynicke, Kurt: Legende von der unbefleckten Empfängnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0154

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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

Der Strom liegt im Dunkeln, kein Auge erkennt, ob ein Boot da fließt oder ob die
Luft über den Wogen sich ballt zum Gesang. Doch da steht ein Lied aus übervollem
Herzensjubel, und das Mädchen schwingt mit auf den lautlosen feinen Saiten ihres
Gefühls in diesem alten Volksgesang, der gleich dem Strom fortschwimmt und leiser
wird in der Ferne.
Aber dann wird es still und Nacht auch in Fine. Ein Fall Tränen steigt aus ihrem
Herzen und will aus den Augen. Der Harm ihres Lebens ist nie so bitterklar wie
in diesem Augenblick. Aber da kommen trostvoll die beruhigenden Hände der
Glocken vom Dom. Glück mischt sich in Fines Gesicht mit leiser Wehmut, und jetzt
hat sie den Willen, der Muttergottes, die ein Weib ist und sie verstehen muß, ihre
Not anheimzugeben, und sie schreitet den Glocken nach.
Das Läuten des späten Abends schweigt. Die Kirche ist leer und sehr still. Die
ewige Lampe brennt vor dem hohen Bilde, die Dämmernis zieht mit geheimen Händen
das Mädchen in die zitternden Kniee und die Stunde schenkt Gehör:
„Maria, Reine, bin ich geringer als die Andern? Hast Du nicht auch geliebt Josef
Deinen Gemahl? Einmal einsehen laß mich in den Himmel, in dem Du gewohnt hast
um Deines großen Sohnes willen! Maria, hilf!“
In dieser gepreßten kargen Minute erlebt Fine in ihrem Herzen das zweischneidige
Schwert des Weibes, welches hindurchgeht durch sein Dasein von Anbeginn der Welt,
Empfängnis und Wonne, Geburt und Wachsen, Verlust und des Alters Einsamkeit.
Doch der gestaute Wille ihrer ungelebten Jugend schreit auf: Laßt es mich leben,
wenn es sein muß nicht alles, nur einen Teil, aber leben, leben, mit allen Stücken
meines Leibes!
Und auf einmal leuchtet das Licht der Ewigen Lampe heller, höher flammt es, es ist
die Lampe nicht mehr, es ist eine Flammenzunge, der Heilige Geist zur ersten Pfingsten
auf den Häuptern der Boten Gottes.
Und es wird von unsichtbaren Händen der Knienden Antlitz aufgehoben zum Bilde
der alliebenden Mutter: das Gotteskind im Arme Maria leuchtet heller noch als
dahinter die heilige Flamme und Fine erschauert und sie spürt, wie die Himmlischen
ihr das Empfinden in die Seele ankern: Ihr Wunsch ginge auf und würde Geschehnis,
aber sie werde es bitter bezahlen müssen. Denn es haben die Unerforschlichen Jedem
seinen Weg vorgezeichnet und wer ein Abseits erzwingt, dem geschieht eine neue
Not um dieses Zwanges willen. Heißestem Gebete gibt der hohe Lenker nach, aber
er führt doch wieder den Irrenden hin zum gezeichneten Pfad, auf daß er endlich klug
werde von dem Himmlischen und solches ist am Ende Erlösung.

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