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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Ehl, Heinrich: Adolf Bauer-Saar
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0179

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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

höchste Vollendung des Schönen in sich begreift. Damit ist zugleich gesagt, daß die
Landschaften Bauer-Saars nichts gemein haben mit der Gegenständlichkeit der Ober-
flächenerscheinung dieser Erde. Seine Landschaft ist keine Erdbeschreibung, sondern
Kosmologie, Weltraumkunde und Eröffnung des inneren Siegels der menschlichen
Apokalypse.
Die Suggestion des Bildes bedarf zu ihrer Verwirklichung fast keiner Mittel oder
vielmehr: das Mittel wird Gestalt und verwandelt sich in Form. Die Land-
schaften Bauer-Saars kennen kein Motiv im üblichen Sinne. (Sie bedürfen daher auch
keiner literarischen Bezeichnung, die immer der Anfang vom Ende ist.) Man muß
auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Motiv“ zurückgehen, die nichts anderes
als „motus“ sagen will. Bewegung ist in der Tat das ursprüngliche Element in Bauer-
Saars Kunst. Es ist für ihn gleichbedeutend mit Erlebnis. Jedes Erlebnis setzt sich
ihm unmittelbar in Bewegung um. Seine Bilder sind nichts anderes als gemalte
Bewegung. Flächen, hinter denen man aber die Tatsachengewalt der Räume spürt.
Es sind Urformen der Natur im Zustande ihrer primitiven Gewaltsamkeit: Berg, Ebene,
Meer, Gestirne und Kontinente. Die menschliche Figur selbst existiert nur als Element,
als blitzartig sich entladende Zuckung geballter Atmosphären. Sie faßt den kosmischen
Raum einheitlich zusammen. Die Einheit ist die Bewegung. Das Bild wird bewegter
Raum, sodaß man ein Gefühl hat, als ob die Fläche zum Raume wächst, sich in den
unendlichen Weltraum entlädt oder aus ihm hervorgestoßen wird.
Auch die Linie ist ein Teil der Bewegung. Das Liniensystem bildet sich aus dem
Geiste bildlichen Schöpfungsaktion. Die Linien sind nicht (häufig auch technisch nicht)
gezeichnet. Sie grenzen daher auch nicht ab. Sie verrichten keine trennende oder
verbindende Funktion, sondern sind aus sich selber da. Sie entstehen spontan durch
Bewegung der Flächen. So vollendet sich nach ewigen Gesetzen das Bild. Aus
dem erregenden Schauspiel eines Machtkampfes freier Gebilde um lebenspendende
Gestaltung wird das Gesetz der Welt. Sein Sinn und sein Gesetz ist Ordnung. Der
Aufruhr der Elemente, die Revolution der Räume offenbart ihre Bestimmung und
ihren motorischen Willen, Form zu werden, nach der ewigen Ordnung des Schöpfers
der Sonnen und Monde.
Alle Bilder Bauer-Saars sind von dieser pantagristischen Grundstimmung getragen,
die lyrisch oder dramatisch vorgetragen, ihre innere Einheit in dem dynamischen Er-
lebnis des Künstlers findet. So ist sein ganzes Werk selber eine in sich geschlossene
Einheit, die sich aus einer reichen Vielheit zusammensetzt. Die kosmische Phantasie
seiner Bildgedanken ist eingesponnen in ein fast märchenhaftes Heidentum, wie es
nur noch in Niedersachsen und Ober-Bayern anzutreffen ist. Es mag daher kein

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