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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Gaspar, Andreas: Die Bewegung der ungarischen Aktivisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0188

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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

einigen Worten zu gedenken. Die Erklärung ist schon angedeutet worden, indem
wir auf die Gegensätze zwischen Aktivisten auf der einen und den Romantikern
der Revolution auf der anderen Seite verwiesen. Die Aktivisten, die es heute
nicht mehr sind, bekennen sich entweder zur Schule des Konstruktivismus oder zum
Proletkult. Die einen sind die Romantiker der Technik und und der Maschine, die
anderen die der politischen Phrasen, die aber gewiß keine Revolution machen, nur
Altes wiederkäuen und die Erbitterung der Masse erst recht betäuben, ja entkräften
können.
Das letzte Abschiedswort der Aktivisten an sie ist: „Fort mit dem vorher ausgedachten
Praktischen in der Kunst! Die Kunst hat nichts auszudrücken, was außerhalb unser
ist; die Kunst soll einzig und allein uns ausdrücken, denn wenn ich, der Künstler,
das Thema der Kunst bin, so bedeutet das nur, daß ich die Welt wiederspiegele
und mehr als das kann niemand geben. Das Leben wird von mir gelebt und kann
ich es in Formen bannen, so werden diese Formen suggestiv sein.“ (Kassäk).
Die Aktivisten leben heute zerstreut in allen Ländern meist als politische Emigranten.
Ihr Führer war von allem Anfang an und ist heute noch der Fanatiker mit sprühender
Überzeugungskraft Ludwig Kassäk, dem es bereits vor dem Kriege gelungen ist,
die Seele des arbeitenden Menschen (Kassäk selbst ist aus dem Arbeiterstande hervor-
gegangen) mit urwüchsiger Kraft auszudrücken und den praktischen Nachweis zu
erbringen, daß die Kunst kein expropriierter Zeitvertreib preziös lispelnder Intellektueller
ist. Ein sozialistischer Künstler im wuchtigsten Sinne des Wortes, entwickelte er sich
nach und nach zum Dichter eines neuen Primitivismus, nachdem er kürzlich auch die
Zieraten des ihn die längste Zeit in seinem Banne haltenden Dadaismus endgültig
abgestreift hat. Kassäk beschäftigt sich übrigens bekanntlich auch mit bildenden
Künsten und vertritt in ihnen denselben Standpunkt, wie in seinen Dichtungen. Neben
ihm sind Robert Reiter, der als Novellist bereits früher bekannte Tibor Dery, und
eine Anzahl junger Dichter als Lyriker und eine Reihe Theoretiker, unter ihnen
Ernst Källai und der Verfasser dieser Zeilen tätig. Bemerkenswert ist, daß die
Ausdrucksformen des Aktivismus, insbesondere auf lyrischem Gebiet, eine ausgesprochene
Schule gemacht haben, während Kassäk und die Aktivisten noch immer neue Möglich-
keit des Ausdrucks suchen. In den letzten Jahren ist kaum ein junger ungarischer
Lyriker aufgetreten, der sich wenigstens formal nicht epigonenhaft an jenen freien
Vers der politischen Periode Kassäks anlehnte, den er selbst bereits als überwunden
betrachtet. Es ist keine ungewöhnliche Erscheinung in der Literatur, daß die Epigonen
zugleich auch Feinde sind. Die größten Feinde der „Ma“-Bewegung aber sind ältere

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