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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Schreyer, Lothar: Der dienende Herr: Der Knabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0227

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DER STURM / VIERTES VIERTELJAHRHEFT

Der Knabe ruht an den Knien
der alten Frau
Müde ruhen die staubigen Schuhe im Staub
Die Falten beben
Das dunkle Gewand ist hart in der Ruhe
Das alte Gesicht ist ein erstarrter Schleier
Die begrabenen Augen dunkeln still
Hände beginnen zu tasten
Der Mund lispelt über dem Kind
Das weiße Haar liegt auf dem schwarzen Kleid
Das Leiden verbirgt sich und ist erfüllt
Keine Reue steht auf der Stirn
Der Mensch gibt sich der Welt
Das stolze Ergeben der Armut ist eine Blume am Abend
Das lachende Kind sucht den fliehenden Glanz
Dei’ weite Weg dämmert durch den Wald
Die Waldwiese wiegt im Wind
Die staubigen Schuhe baden im Tau
Die Kühle der Tiefe steigt
An den Knien der Greisin weint der Knabe still
Tränen rollen in Staub
Vergehen streift
Stunde reiht an Stunde
Langsam lallen Gebete in die Nacht
Und die Nacht kommt
Der Knabe träumt
Der Tisch ist gedeckt
Die Linnen hängen zur Erde
Weiße Wesen stehen um den Tisch
Flammend ragen die Lichtflügel hoch
Der Tisch ist gedeckt und wartet auf den Gast
Die Augen der weißen Wesen sind Herzen die brennen
Die Kleider von Licht rieseln immer und immer
Strahlende Hände sinken und heben den Knaben auf

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