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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1925)
DOI Artikel:
Häfker, Hermann: Wanderkunst
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Über Europa und Gandhi
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0219

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sich aber auch mit großem Stumpfsinn all dieser wertvollen Hilfsmittel
berauben, ja sie sich selbst verekeln.

Und: Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause
tragen. Wenn das der Teufel sagt, so ist es natürlich eine Ironie, und es
gibt genug Leute und auch Wanderer, die in allzu eifriger Tagebuch-
tätigkeit schon des Teufels tzand verspürt haben. Es handelt sich ja nicht
nur ums Schreiben und Notieren, das übrigens gelernt sein will, sondern
auch ums Aeichnen, Photographieren und Kinematographieren. Für die-
jenigen, die mit Photo- und Kinoapparat nebst Zubehör durch die schöne
Welt keuchen, Pflegt das Probleni des Lasttragens bald viel größer als das
der Belichtung zu sein, und mißlungene Platten oder Filme mit etwas
darauf, was in der Natur Entzücken erregte, im Bilde aber reizlos wirkt,
pflegen sich als eine magere Belohnung der Tugend einzustellen. Soll
das alles lohnen, so ist ein Sack voll guter Ratschläge von Erfahrenen
immer noch leichter zu tragen als ein Dutzend Platten mit Lichtflecken.
Darum, o Wanderer, verachte gute Lehre nicht! bei anderen Sachen, wie
dem Zeichnen und dem Sammeln kommt man vor allem mit der Zeit
ins Gedränge. Auch da muß man gelernt haben, hauszuhalten, und dazu
gehört, daß man das zu Hause erledigt hat, was man nicht unbedingt erst
in der Natur machen kann, vor allem die Vorübung. — Aber richtig be-
trieben, sind diese Dinge nicht nur die schönsten und lebendigsten Er-
innerungen, die man sich bewahrt, sondern auch Abungen des Geistes und
der Hand, mit denen man tiefer in das Erlebte eindringt. Was wir durch
die Sinne empfangen, wird erst ganz unser, wenn wir schöpferisch Neues
daraus gestalten. Was so zuerst zu uns gesprochen hat, wandelt sich in
unserm Innern zu einem Stück eigener Sprache, zu einem Stück Aus-
Lruckskultur. Hermann Häfker

Äber Europa und Gandhi

^m^ür den Inder M. K. Gandhi hat in Europa eine Begeisterung ein-
^-^kgesetzt, die ihn rasch im Bewußtsein Vieler an die Stelle des neuer-
dings zurückgetretenen Rabindranath Tagore brachte. Man versteht
das nur, wenn man eine große Oberflächlichkeit voraussetzt: beide sind
Inder, beide bedeutende Köpfe, sie werden öfter zusammen genannt, und
nachdem der eine durch ungeschickte Propaganda zwar sehr unverdient, doch
tatsächlich etwas mißliebig geworden war, stürzte man sich eben auf den
andern, den strengeren, herberen, „originelleren" — als ob es eigentlich
nicht so genau darauf ankomme! Nur wer beide nicht kennt, kann so ver-
fahren; es ist, als ob man statt Goethe eines Tages Görres bevorzugen
würde.

Das Schicksal Gandhis ist übrigens nicht minder unverdient als das
Tagores. Er ist sicherlich ganz etwas anderes als ein geborener Gegen-
stand für europäische Modebeliebtheit. Aber was ist er denn?

Eine schlagworthafte Gegenüberstellung möge zunächst ein paar Um-
rißlinien angeben. Gandhi wie Tagore sind im tiefsten Wesen religiöse
Persönlichkeiten; doch wächst Tagore aus dem reichen Gefühlsboden seiner
Heimat empor in die freie Luft überzeitlich-unbegrenzter Denkweise, während
Gandhi zäh festhält an gewissen engen Vorstellungen; Tagore wird religiös
betonter Philosoph, Gandhi religiöser „Prophet"; Tagore nähert sich mehr
Goethe, um europäische Namen zu nennen, Gandhi mehr Tolstoj, dessen

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