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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1925)
DOI Artikel:
Bernhart, Josef J.: Mittelalter und Gegenwart, [1]
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Trentini, Albert: Erlebnis, Wille und Genius: zu Fritz von Unruhs Pazifismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0064

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den Geschlechtern zn der unendlich Vertvickelten Erotik der proveni^alischen Kulkur, die
Lobpreisungen des kirchlichen Gestalkenhirnmels gehen über aus die Partner mensch-
licher Liebe, indes die Welt der Frömmigkeit und Mystik den Gefühls- und Wortschatz
menschlicher Erotik dem himmlischen Hofe zuwendet. Jmmer klarer enthüllt sich
hinter der Konvention des höfischen Wesens ein starkcr JndividualismuS, der in be-
tvußter Abkehr von der Kirche dem Jdeal eineö aufgeklärten Weltgenusses zustrebt.
Man möchte diese Schicht um das Jahr 1200 und danach fast dem Bildungs-Libera-
lismus unseres ig. Jahrhunderts vergleichen. Und dort wie hier zeigt es sich, daß
solche Derfeinerung der Kultur mit dem Ziele der Alleingeltung der mcnschlichcn
Person und ihres Anspruchs auf opfcrlosen Weltgenuß das Anzeichen naher Kata-
strophen ist. Damals mußte das Lchenswesen, also das gescllschaftliche System, aus
dem die mittelalterliche Welt bis dahin bcruht hatte, unterliegen, als nacheinander
von zwei Seiten her soziale Dorstöße aus primitiverer Menschlichkeit erfolgten:
zuerst die Emanzipation des Bauern, der im Laufe des 12. Jahrhunderts wirtschaft-
lich erstarkt war, danach der Fortschritt des Skädtewesens mit der Bildung eines un-
abhängigen BürgerstandeS.

Nicht als wäre nun nüt der sozialen Neuordnung der Konflikt Welt-Uberwelt ge-
schlichtet: wie er in Mönchtum und Rittertum gegoren hatte, so ergriff er jetzt die
bürgerliche Welt. Jhre kraftvolle, daseinsfreudige Erscheinung darf uns nicht darüber
täuschen, daß sie in ihrem Grunde dauernd beunruhigt ist von den Fragen des Den-
kens und des Glaubens — vom Zweifcl an der Willensfreiheit, vom Druck der Vor-
herbestimmtheit des jenseitigen Schicksals, von der Utopie des dritten Reiches, in dem
dcr Mensch nur noch das Gebot der Liebe als Religion anerkennt und seinen Weg
zu Gott aus eigener Kraft, ohne Kirche und Priester geht. Es sei erinnert an den
Zusammenbruch des Autoritätsgedankens im iZ. Jahrhundert als eine Folge des
Zwiespalts der autoritären Mächte Papst und Kaiser, an die Zeit des Jnterregnums
in der zweiten Hälfte dieses Säkulums, das alle finstern Dämonen entfesselt zur Nie-
derwerfung jeglicher Herrschaft in Kirche und Staat; an die epidemische Lebensangst
vieler Sekten, die warten auf die nia^na trikulstio, dic allgemcine Drangsal (vgl.
Bolschewismus), von der allein erst der Hervorgang einer verklärten Ordnung der
Dinge zu erhoffen sei; an das grauenvolle Evangelium der Katharer, Ehe und freie
Liebe seien gleichermaßen zu verwerfen als Derlängerung der schmerzvollen Wander-
schaft dcr Menschheit nach ihrem Ziel, dem alles und auf immer vcrnichtenden Tod;
an die eigentümliche Doppelwirkung des revolutionären Geistes, der in den Jugend-
tagen des Franz von Assisi die Gemüter scheidet: gegen Lurus und Materialismus
erhebt sich eine religiöse Armuksbewegung, und ihre strcngsten Führer kommen aus
dem Bankiertum und der Großkaufmannschaft, so PetruS Waldes, Luchesio, Fran-
ziskus, daS sektiererische „Proletariat" aber in seinen utopischen Zukunftsträumen
wirft sich mit der ganzen Gier der Pariakapitalisten auf das Geld. (Fortsetzung folgt.)

Erlebnis, Wille und Genius

Zu Frih von llnruhs Pazifismus

c^,ritz von Unruh hat ein Buch „Flügel der Nike" geschrieben, das seine vor-
iV^jährigc Reise nach Frankreich und England erzählt. „Flügel der Nike", —-
wer kennt nicht den Torso steinernen windverwehten Griechinnenkleids im
Louvre? Und wer weiß nicht, daß Nike, der ein Tempel an den Propyläen der
Akropolis zu Athen stand, den Hellcnen die Göttin des Schlachtensiegs bedeutetc?
Und wer, endlich, weiß nicht, daß diese Nike für Fritz von Unruh einzig eine
Göttin des SiegS über den Waffensieg, — des Friedens sein kann?
 
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