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Antiquitäten-Zeitung — 4.1896

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Nr. 4 (22. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61939#0029
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A l m u Zeiltral-OrgarlfttrSaminelwesen,
Versteigernngcrr und Alterthumskunde.

Verbürgte
Auflage 4000.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, Heidelberg, München, Paris, Gent und London.

Nr. 4.

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich 2.50
vierteljährlich, Ausland 3.—

Stuttgart, 32. Januar I8S6.
(Erscheint wöchentlich.)

Anzeigen:
Die Nonparemeieile oder deren
Raum so Pfg., Aultionen so Pfg.

4. Jahrgang.

Turandot.
Erzählung von A. I. Mordtmann.
, (Nachdruck »erboten.)

„Sie wollen wissen, warum ich trotz des scheinbar
lückenlosen Jndicienbeweises in dem letzten Falle, der
uns beschäftigt hat, das Schuldig nicht aussprechen
wollte? Weil ich grundsätzlich diese Art des Beweises
verwerfe. Ich habe damit selbst eine sehr böse Erfah-
rung gemacht, und will sie Ihnen zu meiner Rechtfer-
tigung erzählen."
Der so sprach, war Prof. R., ein trotz seiner Jugend
schon berühmter Gelehrter; seine Zuhörer waren die Ge-
schworenen, die nach der Kölner Schwurgerichtssitzung
des Jahres 1880, bevor sie auseinander gingen, ihre
gemeinsame Thätigkeit mit einem kleinen gemüthlichen
Souper abschlossen.
„Einer der wenigen Streitpunkte," so begann R.,
„zwischen meiner Frau und mir hatten in dem Namen
unseres Töchterchens seinen Ursprung. Sie meint, der
Name müsse Turra abgekürzt werden, weil das Kind
Turandot heißt; aber für einen linguistisch Geschulten,
der weiß, daß die richtige Form des Namens das per-
sische Burandocht ist, kann eine so unwissenschaftliche
Erwägung natürlich nicht in Betracht kommen; ich rufe
Üe daher Burra. Sie Wundern sich gewiß über diesen
Namen? Nun, er hängt mit meiner Geschichte zusammen.
Trinken Sie einmal mit mir auf das Wohl der seit
1350 Jahren todten Fürstin Burandocht . . . Schänken
Sie sich wieder ein und hören Sie mir zu.
Vor mehreren Jahren hielt ich mich längere Zeit
rn London auf, um die Schätze des britischen Museums
für meine Zwecke zu studiren. Damals beschäftigten
mich besonders parthische und sasjanidische Münzen,
und das führte mich wiederholt mit dem Obersten Rey-
nolds zusammen, der kürzlich aus dem Orient zurück-
gekehrt war, wo er eine große Münzsammlung zusam-
s^Webracht hatte. Er war eben mit deren Ordnung
beschäftigt und bestand eigensinnig darauf, sie mir nicht
Würde" als bis er mit dieser Arbeit fertig sein
. ^as mich sonst verdrossen haben würde, des Zeit-
venuftes wegen , war mir damals nicht unangenehm.
L^enn außer seinem reichen Wissen und seiner einzigen
.NunMmmluiig nannte der Oberst noch einen Schatz
sein eigen, der mich noch mehr anzog als jene beiden
- lä^rmryen ez wohl — eine wunderreizende Tochter,
em Mädchen, das vom Vater die klaren blauen Augen,
Mutter einer Griechin aus Kreta, das prächtige
schwarze Haar hatte. Ich mar damals so verliebt, wie
es einem sonst doch leidlich verständigen Menschen gar
nicht Vorkommen sollte, so unvernünftig, so heillos, daß
.zur Stunde unerklärlich ist, wie ich damals
meine Arbeit über Chalifenmünzeu mit Pehlewi-Legen-
Allg bringen konnte. Noch wundersamer ist es,
daß Niemand meinen desperaten Zustand bemerkte, mit
einer einzigen Ausnahme natürlich, und das war Flo-
I5"ce selbst, die meine hochgradige Schwärmerei weder
thoricht fand, noch übel nahm.

Nun, ich will Sie mit meiner Liebesgeschichte nicht
langweilen, obgleich sie bei der Katastrophe, die mich
beihnahe betroffen hätte, eine unheilvolle Rolle spielte.
Damit aber hing es so zusammen.
Ich hatte die Bekanntschaft eines Armeniers ge-
macht, der einen Antiquitätenhandel betrieb und auch
mit Münzen schacherte, obgleich er nichts davon verstand.
Da ich ihm einige Male die wenigen selteneren Sachen
abgekauft hatte, die sich unter einem Wust werthloser
römischer und griechischer Münzen befanden, so kam er
immer zu mir, wenn wieder eine Sendung solchen Zeugs
bei ihm eingctroffen war. Eines Tages aber, als er

Neptun, im RuseumHu Lyon.


Diese schöne römische Status aus Brones wurde im März IMS zu
Lyon im Strombette des Rhone gefunden, und zwar in der Nähe
des linken Ufers, zwischen der Brücke bei dem Hotel de Dieu und
bei der Vorstadt la Guillotine.

mir wieder einen Haufen kupferner und eine kleine An-
zahl silberner Münzen vorlegte, blieb mir, als ich sie
prüfte, beinahe das Herz stehen vor freudigem Schrecken,
und es bedurfte meiner ganzen Selbstüberwindung, um
dem Händler meine Aufregung nicht zu verrathen. „Was
machen Sie nur mit all' dem schmutzigen Quark?" fragte
ich ihn gleichgiltig.
„Finden sich immer Liebhaber", antwortete er
achselzuckend, „die eine Münze von Augustus oder Dio-
kletian für eine große Seltenheit halten. Heute nichts
für Sie darunter?"

„Eigentlich nicht — höchstens die silberne persische
da. Was wollen Sie dafür haben?"
„Zwei Pfund", sagte er bedächtig.
„Sie sind verrückt, Agop", bemerkte ich kühl. „Mit
zehn Schilling ist das Ding überreichlich bezahlt."
Um es kurz zu machen, ich bekam den Schatz, der
eigentlich ganz unbezahlbar war, eine Münze, von der
bisher nur ein einziges Exemplar existirte, kür 15 Schil-
ling. Es war eine Münze der sassanidischen Fürstin
Burandocht, die im Jahre 630 einige Monate regierte.
Damals herrschten heillose Zustände in den persischen
Landen und wiederholter rascher Thronwechsel brachte
Alles in Unordnung. Bis vor Kurzem kannte man
keine Münzen von Burandocht, und vielfach hatte man
sogar die Existenz einer Fürstin dieses Namens ange-
zweifelt, bis Oberst Reynolds eine Silbermünze von
ihr in Konstantinopel erwarb, die zuerst von unserem
berühmten Landsmann M. in der Zeitschrift der Deut-
schen Morgenländischen Gesellschaft beschrieben worden
ist. Reynolds hatte mir schon von diesem Schatze ge-
sprochen, den er geradezu eine Perle seiner Sammlung
nannte.
Während ich meine Münze sauber und vorsichtig
putzte, bis sie in reinem silbernem Glanze erstrahlte,
überlegte ich, wie ich Reynolds am schönsten überraschen
könnte. Ich beschloß, ihm meinen Fund nicht eher zu
zeigen, als bis er mir mit dem ganzen Stolze des glück-
lichen Besitzers sein Kleinod vorgewiesen hätte. Dann
wollte ich ihn mit meinem Schatze niederschmettern; das
war nicht menschenfreundlich gedacht, aber die Sammler
sind eben die nichtswürdigsten Egoisten, die auf Gottes
Erdboden leben.
Am Tage darauf besuchte ich den Obersten, und
hier erwartete mich ein doppeltes Glück; Reynolds war
nicht zu Hause, aber seine Tochter hatte von ihm den
Auftrag erhalten, mir die endlich geordnete Sammlung
zu zeigen. Leider widmete ich dieser an jenem Tage
nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdiente, weil
meine schöne Führerin mich zu sehr zerstreute. Dies
wurde erst anders, als Florence mit geheimnißvoller
Miene ein besonderes Fach aufzog und ihm ein Kästchen
entnahm, das in zwei mit Atlas ansgefütterten Etuis
die beiden größten Seltenheiten des Kabinets enthielt,
die Silbermünze der Burandocht und eine sehr seltene
Goldmünze des letzten Sassaniden Jezdegerd III.
Die Münze Burandocht's war mit der meinigen
ganz identisch, was ja nicht gerade verwunderlich war,
da jene Fürstin kaum ein halbes Jahr regiert hatte;
die Aehnlichkeit erstreckte sich aber auch auf die gute
Erhaltung und zufällige Aeußerlichkeiten. Reynolds
Münze hatte im strengsten Sinne des Wortes aufgehört,
ein Unikum zu sein.
Indem ich die Münze der Burandocht aufmerksam
betrachtete, hatte Florence ihre Augen auf mich gehef-
tet, und als ich, unerwartet aufblickend, ihr etwas sa-
gen wollte, errötheie sie heftig. Verwirrt fragte ich sie,
ob sie wisse, daß diese sassanidische Fürstin das Urbild
der Gozzi'schen und Schiller'schen Turandot sei; sie
wußte von beiden nicht viel und ich schilderte ihr mit
glühenden Farben die berückende Schönheit der phan-
tastischen Prinzessin, wobei ich unwillkürlich die Einzel-
 
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