Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Antiquitäten-Zeitung — 4.1896

DOI Heft:
Nr. 41 (7. Oktober)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61939#0325
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Verbürgte
, Auflage 4000.

Au.E^!»m Zentral-QrftanfnrSammelwesen
j Versteigerungen «nd Alterthnmskunde.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
gegründet 1881, prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, Heidelberg, München, Paris, Gent und London.

Nr. 41.

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich s.so
vierteljährlich, Ausland 3.—

Stuttgart, 7. Oktober 189«
(Erscheint wöchentlich.)

Anzeigen:
Dis Nonpareillejeile oder deren
Raum so Psg., Auktionen so Pfg.

4. Jahrgang.

Kultur und Eiszeit.

In der 68. Versammlung der deutschen Naturforscher
und Aerzte in Frankfurt a. M., am 21. Sepiember d. I.,
hielt der Geh. Hofrath Prof. Dr. Lepsius-Darmstadt
einen Vortrag über „Kultur und Eiszeit".
Ausgehend von der unter dem Namen der „Eiszeit"
oder „Glazialperiode" bekannten, mit jenem Abschnitt
unserer Erdgeschichte, den die Geologen als „Diluvial-
periode" (Quartärzeit) bezeichnen, zeitlich zusammen-
fallenden Epoche, entwirft der Redner zunächst in großen
Zügen ein Bild der prähistorischen Vergangenheit unseres
Erdtheils. Es sind jetzt in den Alpen und ihrem Vor-
lande drei hintereinander folgende Vergletscherungen von
verschiedener Stärke und Ausdehnung nachgewiesen, die
durch wärmere Zwischenperioden, sogenannte „Jntergla-
zialzeiten", in denen sich die Gletscher auf die Höhe der
Alpen zurückzogen, voneinander getrennt sind. Die mitt-
lere der drei Vereisungen war die Haupteiszeit; eS ist in
den letzten Jahren der Beweis geführt worden, daß
selbst die relativ niedrigen Höhenzüge des deutschen
Mittelgebirges, wie Odenwald, Taunus und Spessart,
damals von einer Eisdecke überzogen waren. Der Mensch
ist erst in der auf jene Hauptvereisung folgenden zweiten
Jnterglazialzeit in Europa erschienen. Die Funde von
Taubach (unweit Weimar) entsprechen jener zweiten
wärmeren Zwischenperiode, während der Mensch, dessen
Werkzeuge, Mahlzeitsüberreste u. dgl. auf der Moräne
des ehemaligen Rheingletschers bei Schussenried (unweit
Biberach) und in der Station „Am Schweizerbild" bei
Schaffhausen aufgefunden wurden, kurz nach der letzten
Eiszeit dort gelebt hat. Auch nach der jüngsten Eis-
zeit war die Temperatur im mittleren Europa noch eine
recht niedrige, wie u. A. daraus hervorgeht, daß das
Rennthier auch nach dem Abschmelzen der Gletscher noch
geraume Zeit dort cxistirt hat. Die Untersuchungen von
K. v. Seebach haben ergeben, daß die Niederung von
Nicaragua (Zentral-Amerika) früher ein Meeresarm war»
durch den sehr wohl der Golfstrom nach dem stillen
Ozean hinüberströmen konnte, statt durch den Mexika-
nischen Meerbusen und um die Südspitze von Florida
in den Atlantischen Ozean zurückzubiegen und Europa
zu erwärmen. Auf diese Ablenkung des Golfstroms
nach Westen glaubt der Redner die Entstehung der „Eis-
zeit" zurückführen zu müssen. Das trockene Klima der
letzten Jnterglazialzeit, die auch durch Vorherrschen der
Löß-Bildung gekennzeichnet ist, könnte nach Lepsins da-
durch hervorgerufen worden fein, daß im Westen von
Europa damals nicht ein Meer, sondern zum größeren
Theile Land gelegen war: die versunkene Atlantis, von
der im Alterthum die Sage noch Kunde gab. Daß eine
Landverbindung durch den nördlichen Atlantischen Ozean
hindurch von Europa nach Nordamerika zur Diluvialzeit
wenigstens zeitweise bestanden hat, wird durch eine Reihe
von Beobachtungen über die nahe Verwandtschaft der
jüngsten Fauna von Europa und Nordamerika — ins-
besondere auch durch das Vorkommen des Manutus eben-
sowohl an den seichten Küsten von Brasilien, Venezuela

und Kolumbien, wie auch dieseits des Atlantischen Oze-
ans an der tropischen Westküste Afrikas — bestätigt.
Der Mensch der jüngsten Diluvialzeit wird prähistorisch
als Mensch der „älteren Steinzeit" (paläolithische Pe-
riode) bezeichnet, jener Steinzeit, in welcher der Mensch
seine Steinwerkzeuge roh zuschlug, im Gegensatz zu der
„jüngeren Steinzeit" (neolithische Epoche), in der sich
die polirten Steinwerkzeuge vorfinden. Daß in der
neolithischen Schicht unter den Felsen der zuvor erwähnten
Station „Am Schweizerbild" bei Schaffhausen zwei von
einander gänzlich verschiedene Rassen des Menschen der
jüngeren Steinzeit gefunden worden sind — eine Zwerg-
rasse und eine größere Rasse —, ist vielleicht dadurch
zu erklären, daß die zweite Rasse aus der Fremde, ver-
muthlich aus Osten (Asien) in unsere Gegenden einwan-


Geschlossener Helm mit niederem Kamm, Kinnreff, Visier,
ausstellbarem, mit Deckel zu schließendem Stirnstulp. Hais- und
Nackenreisen sind dreimal geschoben. Bon einem Harnische des Erz-
herzogs Ferdinand von Tyrol (Harnisch mit den Adlern). Arbeit
des Jörg Seusenhofsr in Innsbruck, von 1S47.

derte und die höhere Kultur der jüngeren Steinzeit mit-
brachte. Dadurch ließe sich der große Gegensatz erklä-
ren, der zwischen dem Jäger- und Nomadenvolk der
älteren und den ansässigen Ackerbauern der jüngeren
Steinzeit besteht.
Zu der prähistorischen Metallkultur und zu den Kul-
turvölkern des Alterthums übergehend, erörtert der Red-
ner die unverkennbaren klimatischen Veränderungen, die
in Nordafrika, auf der Sinaihalbinsel, in Griechenland
Vorderasien, im heutigen Syrien und anderwärts zum
Theil in prähistorischer, zum Theil in frühgeschichtlicher
und historischer Zeit stattgefunden haben, — Veränder-
ungen, ans denen sich mit Nothwendigkeit kulturelle Ver-
schiebungen ergeben mußten. Der Rückzug der Kultur
von Afrika bis in das nördliche Europa kann wohl im
letzten Grunde nur erklärt werden aus den klimatischen

Verhältnissen, die sich in den fünf bis sechs Jahr-
tausenden seit den Anfängen der ägyptischen Kultur an-
dauernd zu Ungunsten von Nordafrika und der Mittel-
meerländer und zu Gunsten von Nordeuropa verändert
haben. Von der Eiszeit an bis jetzt hat die Wärme
im nördlichen Europa ständig zugenommen ; in demselben
Maße ist die mittlere Jahrestemperatur im südlichen
Europa, in Aegypten und Vorderasien gestiegen.
Entsprechend dem soeben Gesagten faßt der Redner
den Gedankengang seines geistreichen Vortrags zu fol-
genden Schlüssen zusammen: „Der Norden Europas war
zum großen Theil unter einer mächtigen Eisdecke er-
starrt, als die prähistorische Zeit für unseren Kontinent
mit der Einwanderung des ersten Menschen begann;
während der fünf bis sechs Jahrtausende, in denen die
Steinzeit, die prähistorische Metallzeit und die geschicht-
liche Zeit sich im nördlichen Europa abspielten, wurde
das Klima der alten Welt ganz allmählich immer wär-
mer, bis der Höhepunkt der Erwärmung Europas am
Ende des ersten Jahrtausends n. Ehr. erreicht worden
zu sein scheint. Als hier in unseren Gegenden zur Eis-
zeit eine mittlere Jahrestemperatur von 0" statt wie
jetzt von 10" C. herrschte, war die Folge dieser nordeu-
ropäischen Kälte ein gemäßigtes Klima mit Sommer-
regen in den Mittelmeerländern und im südwestlichen
Asien; dort konnte sich daher die menschliche Kultur
rascher und reicher entwickeln als in dem kalten Norden.
Daher brachten die aus Asien nach Europa nach und
nach einwandernden Völker immere höhere Kulturerzeug-
nisse mit und lehrten den Sleinmenschen Nordeuropas
vor Allem die Bearbeitung der Metalle. Wenn wir
absehen von den alten Kulturreichen in Mesopotamien,
Persien und Indien, die vermuthlich die ältesten waren,
so gelangte in den westlichen Theilen der alten Welt
Aegypten zuerst auf den Gipfel der höchsten Kulturblüthe.
Aegypten gab seine Kultur und Kunst nach Norden an
Griechenland ab; die archaischen Statuen von der Insel
Naxos und aus dem Perserschutte aus der Akropolis
von Athen tragen noch die realistische, aber gebundene
Form der ägyptischen Steinbilder au sich; ebenso hat
sich die Architektur der griechischen Tempel aus der
Säulenordnung ägyptischer Tempel entwickelt. Kaum
ein Jahrtausend hatte die griechische Kulturepoche ge-
dauert, als Rom zur Weltherrschaft berufen wurde. Im-
mer weiter nach Norden wich die geistige und körperliche
Kraft der Völker zurück; wie das Rennthier und der
Polarfuchs aus Deutschland nach den kalten skandina-
vischen Gebirgen sich zurückgezogen haben, so verdrängte
die zunehmende Wärme die menschliche Kultur aus dem
Süden und überließ die Weltherrschaft den Völkern der
jetzigen nördlichen gemäßigten Zone Europas. Eine
Handvoll Engländer hielt die 250 Millionen Einwohner
fest im Zügel und bändigte den Aufstand Arabi-Pascha's
in Aegypten. Unerträglich heiße Sommer ließen die
Kraft der alten Kulturvölker des Südens erschlaffen;
sie wirken lähmend auf alle Beschäftigungen des Men-
schen und stumpfen seine geistigen Fähigkeiten ab. Daher
muß selbst der kräftigste Europäer, wenn er einige Jahre
im Orient, in Aegypten oder in Indien zugebracht hat,
zurückkehren in die nordische Heimath und hier die Spann-
 
Annotationen