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Antiquitäten-Zeitung — 4.1896

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Nr. 8 (19. Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61939#0061
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>!ufltlt^^ 4 ) )0. Versteigerungen und Alterthumskunde.

Verbürgte
Auflage 4000.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, Heidelberg, München, Paris, Gent und London.

Nr. 8.

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich 2.S0
vierteljährlich, Ausland s.—

4. Jahrgang

Stuttgart, IN. Februar 18S6
(Erscheint wöchentlich.)

Anzeige«:
Die Nonpareille,eile oder deren
Raum SO Psg., Auktionen SO Pfg.

Kunstwerke und Kunstmarkt.

Der maßgebende Kunstmarkt, so erzählt im Neuen
Pester Journal anläßlich des Falls Pulszky ein Kenner
der einschlägigen Verhältnisse, ist Paris. Nicht in Eng-
land, dem Lande der reichsten, oder in Deutschland, dem
Sitze der gelehrtesten Kunstkenner, und auch nickt in
Italien, der Heimstätte der herrlichsten und zahlreichsten
Kunstwerke, geschieht die Preisbestimmung für den Kunst-
markt, sondern einzig und allein in Paris. Dort im
Lötol äss veutes in der Rue Drouot, wo
alljährlich etwa 80,000 Bilder und Zeich-
nungen, 150,000 Kunstblätter und ebenso
viele andere Kunstgegenstände verauktionirt
werden und nicht weniger denn 2500 Kunst-
und Antiquitätenhändler exifliren, vollzieht
sich beinahe alltäglich eine gewisse Reguli-
rung der Preise, die sich durch den Kunst-
handel und Kunstschacher von ganz Europa
fühlbar macht. Allerdings sind die Faktoren,
welche die Regulirung der Preise hervor-
bringen, auf diesem Gebiete viel zahlreicher
und schwankender, als auf anderen Märkten,
aber so ganz unbestimmbar, wie allgemein
geglaubt wird, sind sie durchaus nicht.
Die zwei mächtigsten Faktoren für die
Preisbestimmung sind die allgemeine Lage
des Geldmarktes und die jeweilige Strö-
mung im Antiquitätengeschmack. Gute
Börsen sind gleichbedeutend mit hohen Preisen
auf dem Kunstmarkte. Die afrikanischen
Goldnfinen haben den Sammlern und Mu-
seen eine Zeit lang arge Konkurrenz ge-
schaffen. Der Baukrach in Rom hinwidec
hat alte, herrliche Sammlungen in's Wan-
dern gebracht, und ein Anziehen des Zins-
fußes am Pariser Platze, oder ein Sinken
der französischen Rente kann eine im besten
Gange befindliche Auktion schmählich ver-
derben. Da heißt es für den ächten Samm-
ler und die Museen, die ja Zeit haben, auch
hübsch Geduld haben, die Zeit der Baisse
abwarten und dann einkaufen.
Anders verhält es sich mit den jewei-
ligen Strömungen im Antiquitätengeschmacke.
Diese Strömungen sind, abgesehen von ein-
zelnen ganz kurzlebigen Thorheiten, durchaus nicht so
wechselnd, wie die Lage des Geldmarktes, und ihrem
Einflüsse dürfen und können ächte Sammler und Mu-
Üen sich nicht vollstä dig entziehen, wenn auch im neun-
zehnten Jahrhundert der Autiquitätengeschmack, sowie
das ganze Leben nervöser, rascher wechselnd geworden
und. Die Vorliebe für antike Kunst, die drei Jahr-
hunderte, das sechzehnte, siebzehnte und achtzehnte, ab-
solut beherrscht, ist vollständig über Bord geworfen
worden. Werke römischer Kunst, um die sich vor hun-
dert Jahren Fürsten gestritten hätten, sind heute fast
unverkäuflich, ohne jedoch dieserhalb ihren kunsthisto-

rischen Werth verloren zu haben, nur unser Fühlen
diesen Werken gegenüber ist anders geworden. Bei der
letzten Auktion Castellani in Rom wurden für eine rö-
mische Gewandstatue vorzüglicher Arbeit, die noch vor
sechzig bis siebzig Jahren mit vielen Tausenden be-
werthet wurde, nur 500 Frcs. erzielt. Hand in Hand
damit geht der Kurssturz für alle Kunstwerke von an-
tikisirendem, akademischem Wesen. Die Bilder von
Poussin. die einst als Perlen der Landschaftsmalerei
galten, sind ebenso wie die Werke Claude Lorrain's auf
etwa ein Zwanzigstel ihres Werthes zurückgegangen,
und in den letzten Jahren sind um 2000 bis 3000 Frcs.

ganz vorzügliche Bilder dieser Meister verkauft worden.
Aehnlich geht es mit den einst viel begehrten antikisi-
renden Stichen von Marc Anton, sowie mit den klassi-
zistischen Nachtretern Raffael's und den Niederländern
ähnlichen Genres. Ein Bild Domenichino's, das zu
Beginn des Jahrhunderts den Preis von 250,000 Frcs.
erzielte, wurde, als es vor einigen Jahren zur Auktion
kam, um 6000 Frcs. verkauft. Die Bilder von Franz
Floris, der im vorigen Jahrhundert Raffael gleichge-
schätzt wurde, sind heute fast unverkäuflich.
Die Werke der Hochrenaissance, die noch bis vor
etwa fünfzehn Jahren die Sehnsucht aller Sammler

bildeten, beginnen von den Werken der Fcührenaissance
und von jenen Werken, die den Uebergang von der
Gothik zur Renaissance charakterisiren, verdrängt zu
werden. Ausgenommen sind die Großmeister der Hoch-
renaissance: Michelangelo, Raffael, Tizian und einige
Andere. Aber für wie lange? Auch diese Spitzen der
Kunst werden vom Zeitgeschmack nicht vollständig ge-
schont. Edmond de Goncourt, der auf den französischen
Antiquitätengeschmack der letzten vierzig Jahre so viel
Einfluß geübt hat, nennt Raffael einen Spießbürger in
der Kunst, und dieses Wort ist nicht ohne Widerhall
geblieben. Auf der Auktion Delessert wurde Raffael's
berühmte Madouna vom Hause Orleans
für 150,000 Frcs. und ein Bild Tenier's
für 159,000 Frcs. verkauft. Das gibt zu
denken.
Außerordentlich stark im Preise zurück-
gegangen sind auch alle sogenannten Schul-
bilder. Während früher ein Bild, das in
der Manier einem Meister nahestand, dem
des Meisters fast gleichgeschätzt wurde, mag
man heute von den Nachahmern und ge-
lehrigen Schülern nichts wissen. Wenn Ei-
ner so gemalt hat, daß man seine Bilder
ohne Weiteres auch auf den Namen eines
anderen Meisters taufen kann, gilt er auf
dem modernen Kunstmarkte gar wenig.
Heute sucht man nur das Originale und
nebenbei das Naive. Nicht die volle Blüthe,
sondern die zarte Knospe oder das Ueber-
reife reizen nur mehr unsere altgewordenen,
schlaffen Nerven. Dort, wo eine neue Kunst
und neue Kunstformen im Werden begriffen
sind, oder wo sie in überreifem Raffinement
verenden, suchen unsere jetzigen künstlerischen
Leckermäuler Genuß und Befriedigung. Da-
her die Vorliebe für die Frührenaissance
und die zweite Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts. Donatello, Fiesole, Verrochio,
das sind jene Namen, die von jedem Samm-
ler jetzt mit heiliger Ehrfurcht ausgesprochen
werden. Für beglaubigte Werke der Früh-
renaissance ist kein Preis zu hoch. Eine
hübsche Büste aus jener Zeit, die vor 40
bis 50 Jahren 400 bis 600 Frcs. kostete,
erreicht heute leichtlich einen fünfhundertmal
so hohen Preis.
Parallel mit dieser Bewegung geht
eine ungeheure Preissteigerung der derb-naturalistischen,
insbesondere niederländischen Meister. Für eine kleine
Landschaft von Cuyp oder ein Bild Adriaen Bronwer's,
ein Porträt von Franz Hals, überhaupt jener Nieder-
länder, die noch Lessing in seinem Laokoon als „Koth-
maler" verurtheilt, erhält man heute eine ganze Galerie
jener klassizistischen Werke, die des großen Kritikers
Entzücken hervorgerufen. Ein Porträtkopf von Franz
Hals, der 1843 für 600 Frcs. verkauft wurde, erreichte
1867 2500 Frcs., 1868 50,000 Frcs. und stieg vor
Kurzem bis auf 220,000 Frcs.
Aehnlich wie mit Bildern, geht es mit den anderen

Württ. Burgruinen. SS) Ruine Schiiteck bei Schramberg, im Jahrs isss. (Text Seite so.)
 
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