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Antiquitäten-Zeitung — 4.1896

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Nr. 42 (14. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61939#0333
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Nr. 42.

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Deutschland u. Oesterreich 2.S0
vierteljährlich, Ausland s.—

Stuttgart, 14. Oktober 18S«.
(Erscheint wöchentlich.)


AME4ooo Zentral-OrganMSammelweserr,
Versteigerungen und Alterthnmskunde.

Verbürgte
Auflage 4000.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
gegründet 1881, prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, Heidelberg, München, Paris, Gent und London.

Anzeigen:
Die Nonpareillezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auktionen so Pfg.

4. Jahrgang.

Die zwölf großen Grenadiere.

Die in ihrer Art einzige Porzellan-Sammlung im
japanischen Palast zu Dresden, sagt unser Gewährsmann
1821, enthält unter Anderem 21 Vasen von japanischem
Porzellan, von welchen ehedem die Sage ging: der fracht-
liebende August I. von Sachsen habe sie von Friedrich
Wilh.elm I. von Preußen für zwölf große Grenadiere
eingetauscht. Manche sagen gar: für ein Regiment
Dragoner. Das Eine ist aber so unwahr als das An-
dere. Die Sache verhielt sich, wie es aus guten Quellen
kund geworden, also:
Zwischen dem Berliner und Dresdener Hofe war
— wegen des aus Berlin entflohenen und zu Witten-
berg in sächsischen Schutz genommenen Apothekerburschen,
nachherigen Porzellan-Erfinders Böttcher — eine
ziemliche Kälte entstanden ; denn Friedrich Wilhelm hatte
Letzteren, der damals durchaus für einen Adepten galt,
mittelst eigenhändiger Schreiben an August reklamirt,
welcher aber, da er selbst einen Goldmacher brauchen
zu können meinte, die Auslieferung standhaft verweigerte.
Den ersten Schritt zur Annäherung nach diesen Diffe-
renzen that August. Kaum hatte er von der Garde
großer Grenadiere gehört, welche Friedrich Wilhelm er-
richtete, da beeilte er sich auch schon, einen Beitrag dazu
durch zwölf Mann, so lange sie nur in Sachsen aufzu-
treiben waren, zu senden. Den Auftrag, sie zu schaffen,
erhielt der General Wustromirsky von Rokitt-
nig, welcher auch bald mit dem Geschäft zu Stande
war. Jeder dieser Riesen empfing 20 Rthl. Handgeld,
damals ein Kapital für einen Grenadier. Auch wußte
man, daß die Riesengarde mehr zur Schau als zum
Kriegsdienst bestimmt war; auch sollten die Langen nicht
lebenslang, sondern nur bis in ihre besten Jahre dienen;
und so ist es kein Wunder, wenn das: ubi bems ibi
xatria — Jedem den Handschlag erleichterte.
Die von der Sage als ungeheuer anschlagenen
Kosten für alle zwölf Mann, an Werbe- und Handgeld,
Montirungs- und Gewehrstücken, betrugen nicht voll
1300 Rthl., und man wartete nicht, bis alle Zwölf bei-
sammen waren, sondern es wurden Einzelne, auch Zwei
und Drei zusammen, abgesendet, so wie man sie auf-
treiben konnte. Jedem Transport, und wenn es nur
einen Mann galt, ward ein Offizier beigegeben, welcher
an der brandenburgischen Grenze sein Garde-Juwel
einem preußischen Offizier übergab. Zu Baruth erhielt
jeder Rekrut eine Art von Abschiedsmahl, wobei das
Andenken an Vaterland und Heimath in der Flasche un-
terging. In Berlin aber wurden die langen Menschen
von der Militär-Behörde empfangen, als ob in jedem
derselben dem preußischen Heere ein Alexander zuwachse.
Friedrich Wilhelm war ungemein vergnügt, als ihm
am 3. Juli 1715 jene Riesen, auf Kosten seines König!.
Herrn Bruders in Dresden förmlich preußisch montirt,
vorgestellt wurden, klopfte dem Einen auf die Achseln,
strich dem Andern die Wangen, nannte sie Alle seine
lieben Söhne, und sann nun ernstlich darauf, dem Chur-
fürsten von Sachsen die Freude zu vergelten. — Die


einen jener zwölf Grenadiere betreffend — einen ver-
schmitzten Kerl, der mit dem Pfunde, das die Natur
ihm verliehen, zu wuchern verstand. Der Mensch hieß
Haubitz oder Haubold — war aus oder bei Meißen ge-
bürtig, und erschwerte schon das Erhandeln seiner werlhen
Person, weil er, nachdem er 20 Rthl. Handgeld genom-
men und — verthan, erst mit 10 Rthl. Schulden, die
er einem Maurer zahlen müsse, dann wieder mit 16
Rthl. herausrückte, ohne deren Tilgung er nicht fort
könne. Auf ein paar Dutzend Thaler kam es jedoch da-
mals, wo man das Vergnügen nach Tonnen Goldes
berechnete, nicht an. Die 26 Rthl. wurden bezahlt,
und der Rekrut marschirte, unter gehöriger Eskorte, bis
Baruth. Hier waren schon vier seiner Länge-Genossen
eingetroffen, welche nun mit ihm zugleich am folgenden
Tag abgeliefert werden sollten. Der dazu kommandirte
preußische Offizier, ein ungemein lustiger Mann, nahm
fich vor, bei dem Uebergabe-Schmäußchen die langen
Sachsen sammt ihrem Offizier unter den Tisch zu trinken.
Dies gelang ihm auch, bis auf Haubitz, der des Offi-
ziers Absicht wohl merkte, und sich so tapfer hielt, daß
er durchaus nicht xar torro zu bringen war; vielmehr
fiel endlich, der Andern eine Grube graben wollte,
selbst hinein. Tapfer zutrinkend, hatte der preußische
Offizier sich tapfer betrunken und schnarchte im Winkel.
Niemand war seiner mehr mächtig, als Haubitz, der nur
einen tüchtigen Hieb halte, welcher ihn zum lustigsten
und glücklichsten Menschen unter der Sonne machte. —
In diesem Zustande meldeten sich die Vorspann-Bauern —
denn die neuen Preußen wurden gefahren, damit
sie fein kraftvoll und gesund in Berlin ankommen möch-
ten. Zugleich sprach ein kleiner buckeliger Kerl im Gast-
hof ein, der mit kleinen Maaren handelte und der Hau-
bitz bat, ihn in Nahrung zu setzen. Im Augenblick fuhr
diesem ein Scherzplan durch den Kopf, der auch sogleich
ausgeführt ward. Einen ganzen Thaler versprach er
der possierlichen Figur, wenn sic bis Mittenwalde, der
nächsten Umspannung, den Namen Haubitz annehmen
und überhaupt für ihn gelten wolle. Der Handel war
bald geschlossen. Der kurze Haubitz nahm zuerst seinen
Platz, und zwar ganz im Hintergründe des Wagens,
indeß der lange Haubitz seine Kameraden, sammt dem
Offizier, alle taumelnd und halb schlafend, mit tausend
Mühen und Noth, eben dahin transportirte. Er selbst
ließ sich von einem Baruther Bürger, der Wagen und
Pferde hatte, eilends voraus, geraden Weges nach Ber-
lin fahren, nachdem er seinem Stellvertreter eingeprägt,
zu sagen: er fei nach Dresden zurück.
Die Entdeckungs-Scene im Mittenwalde — denn
eher kamen die langen Sachsen, wie die kürzeren Preußen,
nicht zu sich — läßt sich denken. Alles zerreißen wollte
der Offizier, kein Teufel in der Hölle blieb uncitirt;
am schlimmsten ging es dem kleinen Haubitz, daß er die
Rolle des großen übernommen. An ein Nachsetzen war
indeß nicht zu denken, da Letzterer schon von Baruth
aus rechtsum kehrt gemacht hatte. Tobend und scheltend,
mit untermischten Rippenstößen, ward der kurze Pseudo-
Grenadier entlassen und mit dem noch vierblätteiigen
Gardisten-Kleeblatt weiter nach Berlin gefahren. Schon
bei dem dortigen Kommandanten der Garde hatte der

Gelegenheit fand sich bald. Ein Berliner Handlungs-
haus hatte große Summen bei einem Kaufmann in
Amsterdam zu fordern, und erhielt die trübe Nachricht:
daß dieser sehr übel stehe, und seinen Gläubigern statt
Geld nur noch japanisches und chinesisches Porzellan
bieten könne, womit er eine ungeheure, aber mißrathene
Spekulation gemacht hätte. Das Berliner Handlungs-
haus zeigte dies dem Könige an, mit der Frage: ob er
wohl geneigt sei, dergleichen Porzellan zu kaufen, wenn
man es an Zahlungsstatt nehme? Friedrich Wilhelm,
der wohl wußte, welchen Werth man am Dresdener Hofe
auf Porzellan legte, fand den Antrag recht erwünscht,
und machte sich verbindlich, zwei Dutzend der größten
und schönsten Vasen zu kaufen, wenn ihm, sobald das
Porzellan da sei, die Wahl gelassen werde. Binnen
sechs Wochen traf die Sendung aus Amsterdam ein;
die Vasen aber, mehr als fünfzig, von seltener Schön-
heit und Größe, hatten durch nachläßiges Packen so ge-

Reiterhelm, sogenannte „Burgunderkappe", vom Ende des is.
Jahrhunderts. Niederländisch. Waffensammlung Schloß Ambras
tn Tyrol.
litten, daß nur einundzwanzig ganz tadellose herauszu-
finden waren. Diese wurden denn sogleich von Friedrich
Wilhelm — für welchen Preis, ist unbekannt — gekauft
und dem preußischen Gesandten in Dresden geschickt,
um sie dem König August I. mittelst verbindlichen Schrei-
bens zu übergeben. Daß in Letzterem der zwölf Gre-
nadiere nicht gedacht wurde, war natürlich; die Veran-
lassung aber zu dem Porzellan-Geschenk gaben sie, das
ist erwiesen. — Jene Vasen, über deren vorgebliche Er-
handlung durch Grenadiere oder Dragoner man oft bitter
gespottet hat, befinden sich also zu Dresden nicht in
Folge einer zu großen Vorliebe August I. für japanisches
Porzellan, oder einer zu großen Gleichgültigkeit für säch-
sische Soldaten, sondern sie sind Denkmäler einer gegen-
seitigen Artigkeit, wie sie auch Privatpersonen verhält-
nißmäßig sich zu erzeigen für Pflicht gehalten haben
Würden.
Hierüber ist noch eine lustige Anekdote zu erzählen,
 
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