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Antiquitäten-Zeitung — 4.1896

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Nr. 7 (12. Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61939#0053
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Verbürgte
Auflage 4000.
Zentral-OrganfürSammelwesen,
Versteigerungen und Alterthumskunde.
Verbürgte
Auflage 4000.
Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, Heidelberg, München, Paris, Gent und London.
Nr. 7.
Abonnement: Stuttaart. 12. Februar 1896. Anzeigen:
Deutschland u. Oesterreich 2.S0 " e Dis Nonpareillezeile oder deren
vierteljährlich, Ausland s.— (Erscheint wöchentlich.) Raum so Psg., Auktionen so Pfg.
4. Jahrgang.

Die Niederländer am Hudson.
Mit Abbildung Seite 53.
(Nachdruck verboten.)

ntlang der Ost-
grenze des jetzi-
gen Staates
New Aork in
Nordamerika
wälzt der ebenso
gewaltige als
schöne Strom
Hudson seine
Wogen dem
Meere zu. Dort
aber, wo heute
volkreicheStädte
sich erheben, der
schrille Pfiff der
Lokomotive und
des Dampfboo-
tes ertönt, brei-
tete sich vor drei
Jahrhunderten
tiefe Urwalds-
einsamkeit aus,
unwegsam durch
üppig wuchern-
des Unterholz
und zahllose Schlingpflanzen. Nur an den Ufern der Flüsse
wohnte das Jndianervolk der Algonkin in spärlichen
Ansiedelungen. Die Rothhäute hatten nur dunkle Ahn-
ungen von einem „großen Geiste", der über den Jagd-
gründen walte, welche den Ureinwohnern Nordamerikas
ihren Unterhalt boten. Im Uebrigen bevölkerte die
Einbildungskraft des Indianers das Innere der Erde,
die Dämmerung des Waldes und das Reich der Luft
mit Dämonen, Unholden und Kobolden, die an Zauber-
und Spuckwesen Gefallen fanden. Die amerikanische
Rasse des 17. Jahrhunderts zeigte sich zwar hart, ja
grausam, unmenschlich und bisweilen auch verrätherisch,
wies aber auch zahlreiche Tugenden auf, so Gastfreund-
schaft, Tapferkeit, Großmuth, Hochherzigkeit und Kin-
desliebe. Wo der Indianer — die Rothhaut — zum
ersten Male mit europäischen Ansiedlern zusammenkam,
brachte er dem „Blaßgesicht" — dem weißen Europäer
— fast stets Vertrauen und Freundlichkeit entgegen.
Erst nähere Bekanntschaft mit den Ansiedlern, die nicht
rmmer den ehrenhaftesten Volksschichten angehörten,
zeigte den Rothhäuten, daß die weißen Männer nichts
weniger als anzustaunende Halbgötter waren.
Es war an einem Septembertage des Jahres 1609,
als die Natgrkinder, welche die waldbedeckten Ufer des
Hudson bewohnten, mit höchster Verwunderung auf ihrem
heimischen Strome einen seltsamen Riesenvogel erblickten,
der mit seinen großen Weißen, windgefüllten Flügeln
Der Quelle des großen Gewässers entgegenschwamm.


Unter den mächtigen Stämmen der hohen und maleri-
schen Felsufer schauten die Algonkin unverwandt nach
der wunderbaren Erscheinung.
Es war das erste europäische Schiff, welches in
diese unbekannten Gegenden des amerikanischen Fest-
landes vordrang ; sein kühner Kapitän hieß Henry Hud-
son. Der furchtlose Engländer hatte bereits 1606 und
1608 eine nordöstliche Durchfahrt nach Indien im Nor-
den Europas aufzufinden unternommen, doch waren
seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt gewesen.
Nun hoffte er im Nordwesten sein Ziel erreichen zu
können, fand aber, als er den englischen Kaufherren
seine Pläne mittheilte, taube Ohren, wenig Verständniß
und darum auch wenig Unterstützung. Aus Verdruß
darüber wandte sich der wagemuthige Brite an das da-
mals seemächtigste Volk, die Holländer. Letztere hatten
erst im Jahre 1597 Fahrten nach Amerika unternommen
und zu diesem Zwecke zwei westindische Gesellschaften
in's Leben gerufen. Die Anerbietungen Hudson's fanden
in Holland keine unfreundliche Aufnahme. Bereits im
April 1609 segelte der Kapitän in holländischen Diensten
mit seinem Schiffe, dem „Halbmond", gegen Sonnen-
untergang. Mächtige Schollen von Treibeis verwehrten
das Vordringen im Westen von Grönland, weßhalb
Hudson nach Süden steuerte. Er erreichte die Mün-
dung des Penobscot im jetzigen Staate Maine, umschiffte
darauf das Vorgebirge Cod, segelte sodann südlich bis
Virginia und wandte sich zuletzt wieder nach Norden,
wobei er endlich in die Bai des heutigen New-Uork
einfuhr. Der hier mündende gewaltige Strom lockte
zum Vordringen in das Innere. Erst da, wo die Stadt
Albany sich heute erhebt, entschloß sich Hudson zur
Rückkehr nach Europa. Das Jahr 1611 fand unsere
kühnen Entdeckungsreisenden in dem großen Binnen-
meere im Norden Nordamerikas. Dieses Meer trägt
wie der von Hudson in den verlockendsten Farben ge-
schilderte Strom, dessen wir oben gedachten, den Namen
Hudson's. Die meuterische englische Schiffsmannschaft
setzte in der Hudsonsbay den harten und energischen
Kapitän nebst seinem Sohne und mehreren treuen Un-
tergebenen in einem Boote aus und überließ die Un-
glücklichen einem dunklen Verhängniß.
Die Berichte des nun verschollenen Seefahrers über
seine Unternehmung im Jahre 1609 hatte die Aufmerk-
samkeit der Holländer erregt. Schon 1610—1614 trieben
letztere am Hudson Handel mit den Eingeborenen. Da,
wo heute die größte Stadt der neuen Welt sich erhebt,
wurden in jenen Tagen am Strande der Manhattan-
Insel Hütten errichtet, in denen die niederländischen
Händler die Sommermonate zubrachten. 1614 wurde
daselbst ein steinernes Fort angelegt, und Adrian Block
erforschte die Gestade der großen Insel Long-Jsland,
auf deren westlicher Spitze sich jetzt die große Schwester-
stadt New-Uorks, Brooklyn, ausbreitet. 1615 legte
Block an der Stelle des spätern Albany das Erdwerk
Oranien an. 1621 erhielt die westindische Gesellschaft
in Amsterdam die Erlaubniß, an der Küste Amerikas
auf eigene Kosten und Gefahr Ansiedelungen zu be-
gründen. Die Niederlassung auf dem Südende der
Insel Manhattan erhielt den Namen Neu-Amsterdam,

und 1623 die erste Kirche. 1626 wurde den Indianern
die ganze Insel Manhattan für 60 holländische Gulden
abgekauft, und in demselben Jahre trat der erste Gou-
verneur Neu-Niederlanvs, der Rheinländer Peter Min-
newit, sein Amt an. Dieser einsichtige Mann richtete
seine Thätigkeit zuerst auf die Beförderung des Acker-
baues. Im Schutze des Forts Neü-Amsterdam erstan-
den bald hübsche Bauernhäuser; 1628 zählte Neu-Nie-
derland bereits 270 weiße Ansiedler. Die erste Rolle
im Haushalt der jungen Kolonie spielte die ansehnliche
Pelzausfuhr. Verhängnißvoll für Neu-Niederland wurde
der Umstand, daß von Seiten der niederländisch-westin-
dischen Gesellschaft nicht die Bildung eines Mittelstan-
des, sondern der Großgrundbesitzer begünstigt wurde;
denn Derjenige, welcher eine Kolonie von 50 Seelen
anlegte, erhielt ein bedeutendes Landloos als erbliches
Eigenthum zugewiesen. Auf diesem Wege gelangten
die schönen Uferlandschaften des von Hudson entdeckten
Stromes schnell in den Besitz einiger weniger Familien,
der Bloemart, Godyn, Pauw und Rensselaer. 1631
dehnte sich die Kolonie durch die Ansiedelung des Ge-
schichtsschreibers de Dries auch über den heutigen Staat
Delaware aus.
Im Jahre 1632 wurde der treffliche Minnewit von
den Direktoren der westindischen Gesellschaft abberufen
und entlassen. Hierüber erbittert, wandte sich der zu-
rückgesetzte Rheinländer an den König Gustav Adolf
von Schweden, bei dem bereits seit Jahren der Nieder-
länder Usselinx für überseeische Unternehmungen gewirkt
hatte. Schon 1626 war die schwedische Südkompagnie
in's Leben gerufen worden, zu deren Nutzen 1633 der
schwedische Reichskanzler Qxenstierna die vier oberen
Kreise des deutschen Reiches zur Betheiligung aufge-
rufen hatte, welche mehrere deutsche Fürsten und Städte
auch in Aussicht stellten. Wie keine andere Kolonial-
macht jener Tage, erkannte Schweden die Schattenseiten
der Sklavenwirthschaft. Man sah vor allem ein, daß
eine gedrückte Bevölkerungsklasse nur wenige Bedürfnisse
habe, und diese Bedürfnißlosigkeit konnte dem übersee-
ischen Handel kein lohnendes Arbeitsfeld gewähren.
1636 trat Minnewit mit dem Kanzler in Unterhand-
lungen, in deren Verlauf der ehemalige niederländische
Gouverneur auf die vielversprechenden Ufergelände des
untern Delaware hinwies. Schon 1637 ging Minne-
wit im Auftrage der Krone Schweden mit einem Kriegs-
und mit einem Transportschiff dorthin ab und legte in
der Gegend des heutigen Wilmington ein Fort an.
Grund und Boden zur neuen Ansiedelung war. den In-
dianern abgekauft worden. Der niederländische Gou-
verneur Kieft in Neu-Amsterdam erhob gegen die schwe-
dische Niederlassung Einspruch, wagte aber nicht, mit
offenen Feindseligkeiten gegen die neuen Ankömmlinge
vorzugehen.
Bereits 1638 ging eine ansehnliche Pelzsendung
nach L-chweden ab und erweckte dort eine allerdings
wenig nachhaltige Begeisterung für die Kolonie Neu-
Schweden. Diese dehnte sich unter der tüchtigen Ver-
waltung Minnewit's nach und nach bis zu den Tren-
ton-Fällen des Delaware aus. Leider schloß schon
1641 der umsichtige Minnewit die Augen für immer.
 
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