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Bastine, Reiner [Editor]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0347

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11.4. Unbewußte Informationsverarbeitung

Engpässe seiner Lebenssituation korrigieren kann. Träume eröffnen eine Ebene indi-
rekter Kommunikation, in der man sich mit den Problemen eines anderen beschäftigen
kann, ohne diese explizit zu thematisieren - was vielleicht zu schmerzhaft wäre.
Trauminhalte müssen nicht unbedingt vollständig bewußt gemacht werden - dann
würde die Schutzfunktion ihrer Unverbindlichkeit wegfallen. Ein Klient in einer Ehe-
krise, der sich von seiner Frau betrogen fühlte, träumte, daß er seine Frau betrog,
und zwar gleich doppelt. Er fand den Traum ausgesprochen erheiternd, obwohl er ei-
ner solchen Verhaltensweise im Leben vollständig ablehnend gegenüberstand. In
Träumen können sich also sowohl Veränderungen wie auch Begrenzungen andeuten.

Ein Ehepaar hatte sich durch das berufliche Engagement der Frau erheblich voneinander entfernt, und
die therapeutische Beratung bestand im wesentlichen darin, die Frau in ihrem Individuationsprozeß zu
begleiten, ohne den Kontakt zu dem Mann abreißen zu lassen. Die Frau träumte in dieser Zeit, daß sie
sich in einem Hochhaus befände und in einem oberen Stock eine Tür öffnete, wo ihr ein Ozean entge-
gen kam. Es beunruhigte sie, und sie schloß die Tür wieder, ging einen Stock tiefer, wo sie ein Hallen-
bad vorfand, in dem ihre Familie schwamm, und sie zog es vor, sich zu ihnen zu gesellen. Es war nicht
nötig, die Symbole des Hauses und des Wasser im Detail zu besprechen, um ihr klar zu machen, daß
sie ihre Interessen auch in einem begrenzten Rahmen durchsetzen könne, ohne sich dabei von der
Familie zu weit zu entfernen.

Freud sah in Träumen eine Ausdrucksform neurotischer Konflikte. In der auf ihn zu-
rückgehenden psychoanalytischen Auffassung enthalten Träume verschlüsselte An-
sprüche des Es, d.h. sexuelle oder aggressive Impulse, die nicht gesellschaftsfähig
sind. Durch Mechanismen, wie Verdichtung (Zusammenziehen mehrerer Bilder zu ei-
nem), Verschiebung des Affekts auf ein harmloses Detail und die Übersetzung in Bild-
symbole, versucht das Ich, Träume zu chiffrieren, so daß sie der Zensur des Überichs
entgehen. Interessanterweise ist der Traum, den Freud als Geburtsstunde der Traum-
deutung bezeichnet ("Irmas Injektion": Freud, 1900) fast frei von sexueller Bedeutung
und zielt lediglich auf die Rehabilitation des Träumers ab.

CG. Jung (1968) war dagegen der Auffassung, daß Träume eine kompensatorische
Funktion zum bewußten Erleben haben und hilfreiche Hinweise für das Leben des
Träumers geben können - etwa bezüglich Überforderung oder Gesundheitsgefährdung.
Jung hält die symbolische Verschlüsselung in den Träumen nicht für eine Zensur,
sondern für den Ausdruck einer archaischen Sprache, die einerseits auf präverbale
Phasen der Kindheit, andererseits aber auf transpersonale Gemeinsamkeiten zurück-
gehe. In seiner Persönlichkeitstheorie gibt es neben dem persönlichen Unbewußten,
das abgespaltene, verdrängte Erfahrungen enthält, ein kollektives Unbewußtes, das
allgemein menschliche Erfahrungen enthält, die im Leben eines jeden Individuums
auftauchen. Er nennt solche kollektiven Themen Archetypen. Die wichtigsten sind
die des Schattens, der den Teil der Persönlichkeit enthält, den das Individuum nicht
akzeptieren kann (etwa süchtige, gewalttätige oder obszöne Anteile). Zum Schatten
gehört auch der gegengeschlechtliche Anteil des Indiviuums (Anima als weiblicher
und Animus als männlicher Anteil). Weitere Archetypen sind die des Wassers (als
Symbol des Unbewußten) und andere Natursymbole, wie das der Sonne, der Erde und

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