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Baumeister: das Architektur-Magazin — 10.1912

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Heft 10
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Scheffler, Karl: Grabmale, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.55686#0119

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DER BAUMEISTER □ 1912, JULI

111

Arch. Rich. Berndl, München.
Wohnhausgruppe
an der Nymphenburger—Hed-
wig—Alfonsstrasse in München.


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Baustil den letzten allgemein gütigen und für
die Friedhofskunst besonders geeigneten Kunst-
stil besass. Auch sind auf dem Pöre Lachaise
durchweg Angehörige der wohlhabenden Be-
völkerungsklassen beerdigt worden, die ein
sandsteinernes Grabhaus bezahlen konnten.
Und schliesslich bleibt noch zu berücksichti-
gen, dass es sich um einen französischen
Kirchhof handelt, also um das Werk eines
halb romanischen Volkes, das den Sinn für
Architektur seit Jahrhunderten ausgebildet
hat. Dennoch bleibt dieser Friedhof im höch-
sten Masse charakteristisch für den Katholi-
zismus und für seine Bestattungsweise. Er
liefert den Beweis, dass grosse Grabmalskunst
nur als Teil der Baukunst gedacht werden
kann und dass der Weg zu solcher Monumental-
wirkung nur durch uniformierende Ideen zu
erschliessen ist. Wer sich für diese Tatsache
nach weiteren Beweisen umsehen will, der
wird sie auch auf den alten Judenfriedhöfen
finden, denen ebenfalls oft eine starke archi-
tektonische Gesamthaltung eigen ist, weil sie
Produkte eines in sich geschlossenen Ge-
meindegefühles sind und weil in der konservativ
am Ritus festhaltenden jüdischen Religion
Brauch und Sitte in früheren Zeiten die Kraft
des Gesetzes anzunehmen pflegten. Auch ist
zu beachten, dass in protestantischen Gegen-
den gewisse Züge architektonischer Gemein-
giltigkeit damals vor allem hervorgetreten
sind, als etwas wie eine protestantische
Kirchenbaukunst entstehen wollte, nämlich
im letzten Drittel des achtzehnten Jahr-
hunderts, als das Bürgertum aus selbst-
bewusster Glaubenskraft zu einer gewissen
Grösse und Genialität emporstrebte. Es gibt
Wohnhausgruppe an der Nymphenburger—Hedwig—Alfons-
strasse in München.

gibt, sondern von der
grösseren Kunstmacht
des Unpersönlichen.
Man wandelt wie durch
einen Wald von Archi-
tektur ; man geht
durch diesen steinernen
Gräbergarten unter grü-
nen Baumgewölben wie
durch ein Freiluft-Ar-
chitekturmuseum einer
ganzen Zeit. Die rein-
lich keuschen und küh-
len Stilformen des neun-
zehnten Jahrhunderts,
gleichmässigdargestellt
in einem feintonigen
grauen Sandstein, ge-
ben eine wundervolle
Stimmung des Trans-
zendentalen. Und dass
diese Stimmung nicht
drückend wird, dafür
sorgen dann die Jahres-
zeiten, die mit all ihren
Wettern Farben des
Lebens über die Starr-
heit der Kunst breiten.
Beim Pöre Lachaise
sind nun freilich beson-
ders günstige Umstände
wirksam gewesen. In
wenigen Jahrzehnten
ist dieser Friedhof ent-
standen und bevölkert
worden; gerade noch in
einer Reaktionsepoche,
die fest genug am ka-
tholischen Glauben
hing, um der religiösen
Konvention Macht über
sich einzuräumen und
die im klassizistischen
 
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