^EAZG^ DER BAUMEISTER,
1911, DEZEMBER X. JAHRGANG, HEFT 3
Rang gehört; „denn
die Geister ersten Ran-
ges charakterisiert der
Sinn für das Natür-
liche; sie machen es
wie alle andern, nur un-
endliche Male besser“.
Dass der Versuchung,
neu zu sein, der pri-
vate Baukünstler leich-
ter unterliegt als der
beamtete, erklärt sich
aus der Lage der Dinge.
Nicht nur, dass jener
sich im Leben erst zur
Geltung bringen und
selbst seine Stellung
schaffen muss. Der
Tummelplatz seines
Talentes beschränkt
sich im wesentlichen
auf die Ausführung
von Wohn- und Ge-
schäftshäusern, bei
denen unkünstlerische
Bedingungen und per-
sönliche Launen leich-
ter zu Absonderlich-
keiten verführen. Von
monumentalen Schöp-
fungen sieht er sich
von vornherein so gut
wie ausgeschlossen,
obwohl mit ihnen erst
Arch. Schmohl & Staehelin, Stuttgart.
Monumentale Baukunst.
Von Otto M arch.
In letzter Zeit ist in Architektenkreisen Preussens der Vor-
wurf mit besonderer Lebhaftigkeit wiederholt worden, dass
die Ueberweisung fast aller dem Staat oder den Gemeinden
erwachsenden monumentalen Bauaufgaben an organisierte Bau-
ämter der frischen Entwicklung unserer Baukunst hinderlich sei.
Den unmittelbaren Anlass hierzu gab eine ministerielle Kund-
gebung, die vor dem Verlassen der baukünstlerischen Ueber-
lieferung und vor der Pflege der sogenannten modernen
Bauformen warnte, und die zunächst in geschäftlicher Form
an die beamteten Baukünstler gerichtet war. Da aber bei den
Bauämtern ein absichtliches Vernachlässigen der überlieferten
Formen bisher nicht wohl beobachtet werden kann, fühlten
sich andere und weitere Kreise von dieser Mahnung getroffen
und zu mehr oder weniger erregter Kritik veranlasst.
Die ablehnende Haltung gegenüber künstlerischen Gesin-
nungen, die sich mit wenig Bescheidenheit ihrer völligen
Voraussetzungslosigkeit rühmen und dabei oft geneigt sind,
Kenntnislosigkeit für Naivität und Brutalität für Kraft zu halten,
ist gewiss gerechtfertigt. Aber die Zeit der Umstürzler, in
der es als rettende Tat galt, sich aller Fesseln der Ueber-
lieferung zu entledigen, scheint doch eigentlich vorüber zu
sein, und in denjenigen Kreisen, in denen die Ueberzeugung
niemals geschwunden war, dass eine glückliche und gesunde
Entwicklung der Baukunst die Anlehnung an die überkommene
Formensprache nicht entbehren kann, wollte man die Not-
wendigkeit einer solchen ministeriellen Belehrung nicht recht
einsehen. Daher politische Verstimmung links und rechts,
bei den Freisinnigen und bei den Konservativen.
Einen Nutzen haben derartige Auseinandersetzungen immer,
wenngleich in unserer problembehafteten Kunst das Wort
wenig, die Tat alles bedeutet.
Bei ruhiger Betrachtung scheinen sich die Wogen in dem
Kampf der Anschauungen über baukünstlerische Freiheit und
Unfreiheit allmählich zu glätten. Alfred Messel, dessen Geist
wieder einmal, und zwar hier als Anwalt bedrohter künst-
lerischer Freiheit, beschworen worden ist, kann seinem ganzen
Wesen und seiner Entwicklung nach nicht anders denn als
Eklektiker und Klassizist bezeichnet werden, eine Einschätzung,
der bis vor kurzem in den Augen der Allerneuesten ein be-
denklicher Beigeschmack völliger Minderwertigkeit angehaftet
hat. Es ist nicht allzu schwer, neu und ungewöhnlich zu sein.
Die eigenmächtige Verunstaltung griechischer Säulenordnungen
ist aber an sich noch keine geniale Tat.
Von Grillparzer kennen wir das kluge Wort, dass derjenige
Künstler, an dem man die Originalität als künstlerische Eigen-
schaft in erster Linie hervorhebt, schon deshalb in den zweiten
Stadtbad in Ludwigsburg. die grOSSß Kunst be-
ginnt, von der er bei
Ergreifung seines Berufs geträumt hatte. Fast gezwungen
wendet sich nun auch sein unbefriedigter Schaffensdrang mit
Uebereifer der inneren Ausstattung zu, die sich heute den
stolzen Namen Raumkunst beigelegt hat.
Dem Baubeamten fallen dagegen mit beruhigender Selbst-
verständlichkeit die würdigsten Aufgaben in den Schoss, die
in gesicherter Ruhe lösen zu können ein beneidenswerter und
an sich verheissungsvoller Vorzug ist. Abgekehrt von Markt
und Mode, ist er weniger versucht, sich selbst untreu zu werden,
ein Glücksumstand, der ihn aber auch zu seinen höchsten
Leistungen verpflichten muss.
Die gärende Entwicklung eines selbständigen Baukünstlers
ist jedoch geeignet, Kräfte zur Entwicklung zu bringen, die
einer bureaukratisch verwalteten Baukunst in der Regel nicht
zu Gebote stehen. Die stete unmittelbare Berührung mit den
verschiedensten Gesellschaftsschichten, die die Träger unserer
Kultur sind, die ständigen Auseinandersetzungen mit ihren
verwickelten, in verhältnismässig kleinem Rahmen zu lösenden
Aufgaben, die ununterbrochene Anspannung, die das dauernde
Einsetzen der eigenen Persönlichkeit mit sich bringt, werden
zu Triebkräften für Werdendes und Aufstrebendes, die der
vornehm sich abschliessende Kreis des Beamtentums in gleichem
Masse nicht kennen zu lernen pflegt.
Die beamteten Künstler bleiben im Grunde bis zuletzt ihre
eigenen und einzigen Richter. Weder der offizielle Auftrag-
geber, noch die Oeffentlichkeit, die sich sehr bald mit allen
ästhetischen Darbietungen von oben her zufriedengibt, begleiten
ihre Leistungen mit besonderer innerer Teilnahme. Aber
vielleicht gerade deswegen pflegen die Künstler im Amt ihrer
Tat nicht recht froh zu werden, zumal die Kenntnis ihrer
künstlerischen Vaterschaft weiteren Kreisen in den meisten
Fällen vorenthalten bleibt.
Es wäre kurzsichtig, zu leugnen, dass sich unter ihnen
hervorragende Baukünstler befinden. Aber die gezogenen
Schranken, die sich aus dem Begriff einer Organisation von
selbst ergeben, können der Bildung von Individualitäten nicht
förderlich sein, ohne die es eine Entwicklung zu grosser
Kunst nie gegeben hat.
In jedem Falle verdienen das künstlerische Selbstbewusst-
sein und die Lebensenergie, die einen freien Wettkampf der
Aussicht auf ein gesichertes Beamtendasein vorgezogen hat,
eine höhere Einschätzung, als ihnen bisher zuteil geworden
ist. Die Gleichgültigkeit des Publikums unserer monumen-
talen Baukunst gegenüber ist nicht diesem zur Last zu legen,
sondern unserer zwar gelehrten und gewissenhaften, aber
temperamentlosen Architektursprache, für die der etwas bos-
hafte, aber bezeichnende Name „Polytechnische Kunst“ ge-
funden worden ist. Baukunst muss gedichtet, nicht gereimt
werden, hiess es im „Rembrandt als Erzieher“. Ohne leiden-
1911, DEZEMBER X. JAHRGANG, HEFT 3
Rang gehört; „denn
die Geister ersten Ran-
ges charakterisiert der
Sinn für das Natür-
liche; sie machen es
wie alle andern, nur un-
endliche Male besser“.
Dass der Versuchung,
neu zu sein, der pri-
vate Baukünstler leich-
ter unterliegt als der
beamtete, erklärt sich
aus der Lage der Dinge.
Nicht nur, dass jener
sich im Leben erst zur
Geltung bringen und
selbst seine Stellung
schaffen muss. Der
Tummelplatz seines
Talentes beschränkt
sich im wesentlichen
auf die Ausführung
von Wohn- und Ge-
schäftshäusern, bei
denen unkünstlerische
Bedingungen und per-
sönliche Launen leich-
ter zu Absonderlich-
keiten verführen. Von
monumentalen Schöp-
fungen sieht er sich
von vornherein so gut
wie ausgeschlossen,
obwohl mit ihnen erst
Arch. Schmohl & Staehelin, Stuttgart.
Monumentale Baukunst.
Von Otto M arch.
In letzter Zeit ist in Architektenkreisen Preussens der Vor-
wurf mit besonderer Lebhaftigkeit wiederholt worden, dass
die Ueberweisung fast aller dem Staat oder den Gemeinden
erwachsenden monumentalen Bauaufgaben an organisierte Bau-
ämter der frischen Entwicklung unserer Baukunst hinderlich sei.
Den unmittelbaren Anlass hierzu gab eine ministerielle Kund-
gebung, die vor dem Verlassen der baukünstlerischen Ueber-
lieferung und vor der Pflege der sogenannten modernen
Bauformen warnte, und die zunächst in geschäftlicher Form
an die beamteten Baukünstler gerichtet war. Da aber bei den
Bauämtern ein absichtliches Vernachlässigen der überlieferten
Formen bisher nicht wohl beobachtet werden kann, fühlten
sich andere und weitere Kreise von dieser Mahnung getroffen
und zu mehr oder weniger erregter Kritik veranlasst.
Die ablehnende Haltung gegenüber künstlerischen Gesin-
nungen, die sich mit wenig Bescheidenheit ihrer völligen
Voraussetzungslosigkeit rühmen und dabei oft geneigt sind,
Kenntnislosigkeit für Naivität und Brutalität für Kraft zu halten,
ist gewiss gerechtfertigt. Aber die Zeit der Umstürzler, in
der es als rettende Tat galt, sich aller Fesseln der Ueber-
lieferung zu entledigen, scheint doch eigentlich vorüber zu
sein, und in denjenigen Kreisen, in denen die Ueberzeugung
niemals geschwunden war, dass eine glückliche und gesunde
Entwicklung der Baukunst die Anlehnung an die überkommene
Formensprache nicht entbehren kann, wollte man die Not-
wendigkeit einer solchen ministeriellen Belehrung nicht recht
einsehen. Daher politische Verstimmung links und rechts,
bei den Freisinnigen und bei den Konservativen.
Einen Nutzen haben derartige Auseinandersetzungen immer,
wenngleich in unserer problembehafteten Kunst das Wort
wenig, die Tat alles bedeutet.
Bei ruhiger Betrachtung scheinen sich die Wogen in dem
Kampf der Anschauungen über baukünstlerische Freiheit und
Unfreiheit allmählich zu glätten. Alfred Messel, dessen Geist
wieder einmal, und zwar hier als Anwalt bedrohter künst-
lerischer Freiheit, beschworen worden ist, kann seinem ganzen
Wesen und seiner Entwicklung nach nicht anders denn als
Eklektiker und Klassizist bezeichnet werden, eine Einschätzung,
der bis vor kurzem in den Augen der Allerneuesten ein be-
denklicher Beigeschmack völliger Minderwertigkeit angehaftet
hat. Es ist nicht allzu schwer, neu und ungewöhnlich zu sein.
Die eigenmächtige Verunstaltung griechischer Säulenordnungen
ist aber an sich noch keine geniale Tat.
Von Grillparzer kennen wir das kluge Wort, dass derjenige
Künstler, an dem man die Originalität als künstlerische Eigen-
schaft in erster Linie hervorhebt, schon deshalb in den zweiten
Stadtbad in Ludwigsburg. die grOSSß Kunst be-
ginnt, von der er bei
Ergreifung seines Berufs geträumt hatte. Fast gezwungen
wendet sich nun auch sein unbefriedigter Schaffensdrang mit
Uebereifer der inneren Ausstattung zu, die sich heute den
stolzen Namen Raumkunst beigelegt hat.
Dem Baubeamten fallen dagegen mit beruhigender Selbst-
verständlichkeit die würdigsten Aufgaben in den Schoss, die
in gesicherter Ruhe lösen zu können ein beneidenswerter und
an sich verheissungsvoller Vorzug ist. Abgekehrt von Markt
und Mode, ist er weniger versucht, sich selbst untreu zu werden,
ein Glücksumstand, der ihn aber auch zu seinen höchsten
Leistungen verpflichten muss.
Die gärende Entwicklung eines selbständigen Baukünstlers
ist jedoch geeignet, Kräfte zur Entwicklung zu bringen, die
einer bureaukratisch verwalteten Baukunst in der Regel nicht
zu Gebote stehen. Die stete unmittelbare Berührung mit den
verschiedensten Gesellschaftsschichten, die die Träger unserer
Kultur sind, die ständigen Auseinandersetzungen mit ihren
verwickelten, in verhältnismässig kleinem Rahmen zu lösenden
Aufgaben, die ununterbrochene Anspannung, die das dauernde
Einsetzen der eigenen Persönlichkeit mit sich bringt, werden
zu Triebkräften für Werdendes und Aufstrebendes, die der
vornehm sich abschliessende Kreis des Beamtentums in gleichem
Masse nicht kennen zu lernen pflegt.
Die beamteten Künstler bleiben im Grunde bis zuletzt ihre
eigenen und einzigen Richter. Weder der offizielle Auftrag-
geber, noch die Oeffentlichkeit, die sich sehr bald mit allen
ästhetischen Darbietungen von oben her zufriedengibt, begleiten
ihre Leistungen mit besonderer innerer Teilnahme. Aber
vielleicht gerade deswegen pflegen die Künstler im Amt ihrer
Tat nicht recht froh zu werden, zumal die Kenntnis ihrer
künstlerischen Vaterschaft weiteren Kreisen in den meisten
Fällen vorenthalten bleibt.
Es wäre kurzsichtig, zu leugnen, dass sich unter ihnen
hervorragende Baukünstler befinden. Aber die gezogenen
Schranken, die sich aus dem Begriff einer Organisation von
selbst ergeben, können der Bildung von Individualitäten nicht
förderlich sein, ohne die es eine Entwicklung zu grosser
Kunst nie gegeben hat.
In jedem Falle verdienen das künstlerische Selbstbewusst-
sein und die Lebensenergie, die einen freien Wettkampf der
Aussicht auf ein gesichertes Beamtendasein vorgezogen hat,
eine höhere Einschätzung, als ihnen bisher zuteil geworden
ist. Die Gleichgültigkeit des Publikums unserer monumen-
talen Baukunst gegenüber ist nicht diesem zur Last zu legen,
sondern unserer zwar gelehrten und gewissenhaften, aber
temperamentlosen Architektursprache, für die der etwas bos-
hafte, aber bezeichnende Name „Polytechnische Kunst“ ge-
funden worden ist. Baukunst muss gedichtet, nicht gereimt
werden, hiess es im „Rembrandt als Erzieher“. Ohne leiden-