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DER BAUMEISTER □ 1912, JULI
♦Elisabethstrasse 48,
München. Portal.
♦Widenmayerstrasse, München. Portal.
anderen geschaffen haben, ist wertvoll genug
und es würde bedeutend sein, wenn eine
höhere religiöse Notwendigkeit dahinter
stände anstatt eines nur ästhetisch gerichte-
ten Willens. Es fehlt diesen Bestrebungen
jetzt trotz alledem das tiefere Müssen. Und
es werden uns darum auch Outriertheiten
des Jugendstiles nicht erspart, wie die im
Stil der Bratwurstglöckchen bemalten Holz-
kreuze und die schnörkelhaft biedermeierlich
gebogenen Stelen, wie man sie auf den
Ausstellungen sieht. Es dringt eben jedes
Echo der kunstgewerblichen Bewegung auf
den Kirchhof und selbst in den Aufschriften
der Grabsteine erkennt man die Ergebnisse
moderner Schriftübung wieder.
Der einzelne Wohlhabende sieht sich durch
diese Bestrebungen in den Stand gesetzt,
der Grabmalindustrie auszuweichen und um
die Grabstätte seiner Lieben ästhetische Kul-
tur zu verbreiten; die Allgemeinheit dagegen
kann vorderhand Nutzen noch nicht aus der
Reform ziehen, weil die Kunstfrage eben
nicht gesondert gelöst werden kann, weil es
eine allgemein gütige Grabmalskunst erst
wieder geben kann, wenn es eine neue, herrsch-
fähige Sakralbaukunst gibt, einen anerkannten
Begräbnisritus, neue Kirchlichkeit und neuen
Unsterblichkeitsglauben. Dieser vor allem ist
Voraussetzung. Die Möglichkeit eines Grab-
malstiles höherer Art ist also in weite Fernen
gerückt. Es bleibt uns nur die Möglich-
keit, die Versuche unserer Künstler mit Sym-
pathie zu begleiten und von der steigenden
Geschmackskultur einen Teil wenigstens des-
sen zu erwarten, was früher religiösem
Brauch und grossgearteten Baukonventionen
entkeimte.
(Schluss folgt.)
♦Arch. Stengel & Hofer, München.
Mietshaus Elisabeth—Karlsstrasse, München. Portal.
Verlag: Georg D. W. Callwey in München. Verantwortlich: Hermann Jansen in Berlin W. 35. Druck: Kastner & Callwey in München.
DER BAUMEISTER □ 1912, JULI
♦Elisabethstrasse 48,
München. Portal.
♦Widenmayerstrasse, München. Portal.
anderen geschaffen haben, ist wertvoll genug
und es würde bedeutend sein, wenn eine
höhere religiöse Notwendigkeit dahinter
stände anstatt eines nur ästhetisch gerichte-
ten Willens. Es fehlt diesen Bestrebungen
jetzt trotz alledem das tiefere Müssen. Und
es werden uns darum auch Outriertheiten
des Jugendstiles nicht erspart, wie die im
Stil der Bratwurstglöckchen bemalten Holz-
kreuze und die schnörkelhaft biedermeierlich
gebogenen Stelen, wie man sie auf den
Ausstellungen sieht. Es dringt eben jedes
Echo der kunstgewerblichen Bewegung auf
den Kirchhof und selbst in den Aufschriften
der Grabsteine erkennt man die Ergebnisse
moderner Schriftübung wieder.
Der einzelne Wohlhabende sieht sich durch
diese Bestrebungen in den Stand gesetzt,
der Grabmalindustrie auszuweichen und um
die Grabstätte seiner Lieben ästhetische Kul-
tur zu verbreiten; die Allgemeinheit dagegen
kann vorderhand Nutzen noch nicht aus der
Reform ziehen, weil die Kunstfrage eben
nicht gesondert gelöst werden kann, weil es
eine allgemein gütige Grabmalskunst erst
wieder geben kann, wenn es eine neue, herrsch-
fähige Sakralbaukunst gibt, einen anerkannten
Begräbnisritus, neue Kirchlichkeit und neuen
Unsterblichkeitsglauben. Dieser vor allem ist
Voraussetzung. Die Möglichkeit eines Grab-
malstiles höherer Art ist also in weite Fernen
gerückt. Es bleibt uns nur die Möglich-
keit, die Versuche unserer Künstler mit Sym-
pathie zu begleiten und von der steigenden
Geschmackskultur einen Teil wenigstens des-
sen zu erwarten, was früher religiösem
Brauch und grossgearteten Baukonventionen
entkeimte.
(Schluss folgt.)
♦Arch. Stengel & Hofer, München.
Mietshaus Elisabeth—Karlsstrasse, München. Portal.
Verlag: Georg D. W. Callwey in München. Verantwortlich: Hermann Jansen in Berlin W. 35. Druck: Kastner & Callwey in München.