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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0074

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Die Maler.

zelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns noch übrig, über seine Stellung
in der Entwickelungsgeschichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter
auszusprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Beziehung zwei
Meinungen gegenübergestanden zu haben, als deren hauptsächlichste Vertreter

94 wir Aristoteles und Plinius (oder dessen Gewährsmänner) bezeichnen können.
Es lässt sich damit die verschiedene Beurtheilung vergleichen, welche unter den
neueren Künstlern Giotto erfahren hat. Zeuxis erscheint bei Plinius als der
eigentliche Begründer der Malerei, Giotto galt lange und allgemein als deren
Wiederhersteller bei den Neueren. Ganz in derselben Weise aber, wie Aristo-
teles den Zeuxis in Hinsicht auf das Ethos dem Polygnot nachgesetzt, hat
Rumohrx) in den höheren geistigen Beziehungen den Giotto unter seine näch-
sten Vorgänger setzen zu müssen geglaubt. Wenn eine Meinung lange Zeit
unangefochtene Geltung behauptet hat und, wie bei Giotto, die Späteren stets
bestrebt waren, sich in ihrer Bewunderung zu überbieten, so übernimmt der-
jenige eine schwierige Aufgabe, welcher versucht, das Bild eines Künstlers von
dem falschen Schmucke zu befreien, mit dem ein übel angebrachter Enthusias-
mus es überladen hat. Es gewinnt leicht den Anschein, als solle das wirkliche
Verdienst mit ungerechtem Neide verkleinert werden, um so mehr, als bei dieser
wesentlich negirenden Kritik die Urtheile allerdings in einer Schärfe der Fas-
sung ausgesprochen werden müssen, welche später einer Milderung fähig, ja
bedürftig erscheinen mag, sobald nur erst die veränderte Grundanschauung eine
allgemeine Anerkennung erlangt hat. So musste Rumohrs Beurtheilung des
Giotto bei ihrem Erscheinen vielfachen Widerspruch erregen, obwohl jetzt nie-
mand mehr leugnen wird, dass sie zu einer richtigeren Würdigung des Künst-
lers erst die Bahn gebrochen hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn die
in den bisherigen Erörterungen ausgesprochene Auffassung des Zeuxis aus ähn-
lichen Ursachen Tadel erführe. Allein, wo noch so wenig, wie bisher in der
Geschichte der alten Malerei, versucht worden ist, die Gesammtmasse des StolFes
bestimmter zu gliedern und zu gruppiren, erscheint es als die erste Pflicht, zu
trennen, was keinen inneren Zusammenhang hat, und die Gegensätze scharf
hinzustellen, um auf diese Weise nur überhaupt erst eine klarere Einsicht mög-
lich zu machen. Zeuxis, als das Haupt einer neueren Richtung, musste aller-
dings mehr zu seinem Nachtheile, als zu seinem Vortheile zunächst Polygnot,

95 dem Haupte der älteren, gegenübertreten. Nachdem dies geschehen, wird sich
schon eher eine Vermittelung finden lassen, durch welche auch die bewundern-
den Urtheile des Alterthums als in ihrer Weise berechtigt erscheinen.

Wir haben auch früher nicht geleugnet, dass, so gross das Verdienst des
Polygnot in Hinsicht auf alles Geistige war, er doch in allem, was die äusseren
Mittel der Darstellung angeht, im Princip nicht über seine Vorgänger hinaus-
gegangen war. Er brachte nur das ältere System zur höchsten Vollendung,
zum letzten Abschlüsse; und die Mängel dieses Systems selbst wurden nur
darum noch nicht empfunden, weil Polygnot nirgends versucht hatte, sich den
Forderungen desselben zu entziehen, sondern in freiwilliger Unterordnung be-
stimmte Grenzen als bindend anerkannt hatte. Nachdem nun aber namentlich

i) Ital. Forsch. It, 39 fg.
 
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