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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0139

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IV. Die Maler vom Ende des peloponn. Krieges bis zum Tode Alexanders d. Gr. 129

die unsrige wenigstens noch nach einer Seite hin sicher zu stellen suchen, in-
dem wir nachweisen, dass sie nicht im Widerspruche mit der allgemeinen Ent-
wickelungsgeschiehte der Malerei steht. Denn auffallend wird es allerdings er-
scheinen, dass sich aus der durchaus auf Gefühl und Empfindung beruhenden
Richtung des Aristides bei seinem Schüler Euphranor eine so durchaus reali-
stische Auffassung entwickelt haben soll. Und doch lässt sich die Möglichkeit
dieses Ueberganges von vorn herein durch eine gewichtige kunstgeschichtliche
Analogie nachweisen. Gerade der Künstler, dessen ganzes Streben durchaus
vom Irdischen weg zum geistig Ascetischen gewendet war, Fiesole war es, der
:<in physioghömischer Beziehung allen llorentinischen Naturalisten vorgeleuchtet
hat", „der bei den llorentinischen Malern der zweiten Hälfte des löten Jahr-
hunderts den Sinn für den Reiz und für die' Bedeutung des Mannigfaltigen in
der menschlichen Gesichtsbildung weckte und schärfte «•)." Wie aber hier keines-
wegs der Zufall, sondern innere Gründe wirkten, so fehlt es auch nicht an einem
inneren Zusammenhange zwischen den scheinbar sich widersprechenden Lei-
stungen des Aristides und des Euphranor.

Aristides mochte noch so sehr aus der innersten Tiefe des Seelen- und
Gefühlslebens heraus seine Werke schaffen, sein ganzes Streben mochte dadurch
noch so sehr vergeistigt erscheinen: so musste er doch, indem er Affecte, Leiden
und Leidenschaften schilderte, sein Augenmerk von den bleibenden Formen des
Grundcharakters, dem Ethos der polygnotischen Kunst ab auf vorübergehende
psychologische Stimmungen und Züge richten, welche an den ihrer Natur nach
beweglicheren und wandelbareren Formen des Körpers zur Anschauung kommen.
Wenn nun aber auch der mit dem feinsten Gefühl hervorragend begabte Künstler
sich bei der Darstellung jener Züge mit einem möglichst geringen Maasse kör- 192
perlichen Ausdrucks begnügt, so ist es doch natürlich, dass der, wenn auch
noch so tüchtige, aber nicht so fein organisirte Nachahmer gerade, was äusser-
lich, formell wahrnehmbar ist, ins Auge fassen wird. Indem er aber dabei die
Bemerkung macht, dass mit der Stärke des wiederzugebenden Affects sich auch
der körperliche Ausdruck steigert, kann er leicht verleitet werden, das Verhält-
niss zwischen Ursache und Wirkung zu verkennen, und die Darstellung des
Affects durch die Stärke seiner materiellen Aeusserung bedingt erachten. Und
hiermit ist der Keim zu jener realistischen Anschauung und Auffassung gegeben,
welche Grosses und Erhabenes nur körperlich gross und erhaben darstellen zu
können meint.

Es würde gewiss lehrreich sein, wenn wir eingehender zu verfolgen ver-
möchten, wie sich diese Richtung in der Behandlung des Einzelnen offenbarte.
Aber die wenigen vorhandenen Nachrichten genügten kaum, sie im allgemeinen
mit Sicherheit nachzuweisen. Nur auf einen Punkt wollen wir noch einmal
unsere Aufmerksamkeit zurücklenken, auf die Eigenthümlichkeit in der Behand-
lung der Proportionen. Der älteren von Polyklet begründeten Lehre lag das
Bestreben zu Grunde, durch ihre quadraten Proportionen den eigentlichen
Stamm des Körpers, als von welchem jede Kraftentwickelung ausgeht, für eine
solche auch besonders und nachdrücklich befähigt erscheinen zu lassen. Wenn

x) Rumohr: ital. Forsch. II, 2G4 u. 256 und überhaupt im 13ten Capitel.

Brunn, Geschichte der griechischen Künstler. II. 2. Ann. 9
 
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