Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0166

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
15G

Die Maler.

ihn erreicht, hierin allein sei ihm niemand gleich1)." Worauf nun diese An-
muth ihrer äusseren Erscheinung nach beruhe, das lehrt uns wiederum Apelles
selbst. Beim Anblick des Jalysos von Protogenes soll er nemlich über die mit
unsäglicher Sorgfalt durchgeführte Vollendung wahrhaft betroffen gewesen sein
und gern dem Protogenes den Vorrang vor sich eingeräumt haben: nur in einem
Punkte müsse er diesen für sich selbst in Ansprach nehmen, darin nemlich,
dass er verstehe, die Hand zur rechten Zeit von der Arbeit zurückzuziehen;
denn eine zu grosse Sorgfalt thue der Anmuth Eintrags). Nicht also die Voll-
endung an sich, sondern das Maass der Vollendung wird hiermit als das Höchste
in der Kunst hingestellt. Wenn aber Protogenes zu diesem Ziele trotz der an-
gestrengtesten Sorgfalt nicht zu gelangen vermochte, so werden wir dem Apelles
als dem unerreichten Muster in dieser Beziehung noch eine besondere geistige
Eigenschaft vor jenem zuerkennen müssen. Ich glaube dieselbe bei Quintilian
bezeichnet zu finden, wenn er neben der Grazie das ingenium als den bedeut-
samsten Vorzug des Apelles hinstellt•*>). Natürlich kann dieser Ausdruck hier
nicht von jener angeborenen Gabe der Erfindung und Motivirung verstanden
werden, von welcher ihn Plinius auf Timanthes angewendet hat, sondern er ist
offenbar von Quintilian gewählt, um eben jene Grazie ihrem Ursprünge nach
nicht sowohl als ein Ergebniss gründlicher Studien, sondern als eine angeborene
Gabe, ein freies Geschenk der Natur zu bezeichnen, die freilich aber erst da-
durch eine so hohe Bedeutung erlangt, dass sie bei Apelles sich mit einer seltenen
Gründlichkeit der Bildung verbunden zeigt. Darum ist sie bei ihm, so zu sagen,
die Krone der Vollendung. Denn sie lässt uns die während der Arbeit an-
gewandte Sorgfalt und Mühe vergessen, und das Werk erscheint nicht mehr als
etwas Gemachtes, sondern Gewordenes, gewissermassen als eine freie Mani-
festation der Gesetze künstlerischer Gestaltung.

Hieraus erklärt sich die fast einstimmige Bewunderung, welche das Alterthum
dem Apelles hat zu Theil werden lassen *); und sie erscheint auch vollkommen
gerechtfertigt, sofern wir uns nur gegenwärtig halten, dass auch sie auf der
Anerkennung nicht aller, sondern bestimmt begrenzter Seiten der künstlerischen
Thätigkeit beruht. Hierauf einen besonderen Nachdruck zu legen, veranlasst
mich der Standpunkt, den ich bei der Beurtheilung eines Künstlers angenommen
habe, welcher im entschiedensten Gegensatze zu Apelles steht, nemlich des
Polygnot. Ihm glaubte ich, gestützt hauptsächlich auf das Zeugniss des Ari-
stoteles, eine Bedeutung beilegen zu müssen, in welcher er von keinem der
Nachfolgenden erreicht worden ist. Soll nun der Widerspruch gelöst werden,
der in der Anerkennung des einen, wie des andern scheinbar enthalten ist, so
wird uns dies eben nur dadurch gelingen, dass wir das Verdienst eines jeden
scharf auf eine bestimmte Sphäre beschränken. Dem Polygnot. gebührt die
erste Stelle auf dem Gebiete des poetisch-künstlerischen Schaffens, also auf
einem Gebiete, welches von der besondern Gattung der Kunst in gewissen Be-

*) Pliu. 35, 79. 2) Plin. 35, 80; Plut. Deraet. 22; Aol. v. h. XII, 41; vgl. Cic. orat.
22, § 73. 3) XII, 10: ingcnio et gratia, quam in se ipse maximo iaotat, Apelles est prae-
stantissimüs. ■') Von ganz allgemein gehaltenen rühmenden Erwähnungen trage ich hier
noch nach: Diodor. exc. Jloesch. XXVI, 1; Cic. ad Att. II, 21; Columell. I, praef. § 31;
Epithal. Maxim: et Const. dict. c. 6; Jüstinian instit. II, 1, 34.
 
Annotationen