Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0180

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
170 Die Maler.

folgendes Gemälde verbürgt. Einen Schwerbewaffneten stellt es vor, im
Ausfalle begriffen in dein Augenblicke, wo die Feinde plötzlich einbrechen und
das Land verwüsten und verheeren. Leibhaftig und voll Muth sieht der Jüng-
ling aus, wie einer, der in die Schlacht stürzt, und man glaubt ihn wüthen zu
sehen, wie von Ares besessen. Furchtbar blicken seine Augen. Die Waffen
hat er schnell emporgerafft und scheint, wo er gerade steht, auf die Feinde
loszustürzen. Schon hat er den Schild vorgeworfen und schwingt das nackte
Schwert wie ein Mordender; die Begierde zum Schlachten leuchtet aus seinem
Auge, und er droht in seiner ganzen Haltung, dass er niemand verschonen
werde. Ausser dieser Figur aber hat Theon nichts weiter dargestellt, nicht einen
Mitsoldaten, nicht einen Zugführer, nicht einen Rottenführer, nicht einen Reiter,
nicht einen Bogenschützen, sondern es genügte ihm auch dieser eine Hoplit,

253 um die Aufgabe des Bildes vollständig zu erfüllen. Aber der Künstler enthüllte
auch das Bild nicht, und zeigte es nicht der versammelten Menge, ohne vorher
einen Trompeter daneben gestellt zu haben mit der Weisung, das Angriffssignal
zu blasen , durchdringend und so laut wie möglich, und wie einen Wachtruf
zur Schlacht. Wenn nun das Signal grell und furchtbar erschallte, als ob zum
schnellen Ausfalle der Hopliten die Trompete ertönte, sah man auch das Bild
und erblickte den Soldaten, indem das Signal das Scheinbild des Hervor-
stürmenden der Einbildungskraft noch weit näher rückte.1' Ich habe in dem
letzten Salze das Wort cpavTaoia durch Scheinbild wiedergegeben, insofern die
Einbildungskraft für etwas Wirkliches zu nehmen bereit ist, was doch nur der
Schein des Wirklichen ist. In der ganzen Erzählung aber haben wir einen
vollständigen Commentar zu dem Urtheil Quintilians. Jene Phantasien oder
Visionen sind nicht Darstellungen von reinen Phantasiegebilden ohne Realität,
sondern Darstellungen, welche zunächst und vorzugsweise auf die Einbildungs-
kraft des Beschauers wirken, und sie durch das Plötzliche, das Ueberraschende
und Schreckhafte der ersten Erscheinung vergessen machen, dass es sich nicht
um die Wirklichkeit, sondern nur um eine Nachbildung derselben handelt. Und
in dieser Weise erklärt sie Quintilian selbst an einer andern Stelle1): Quas
qiavraoiag Graeci vocant, nos sane visiones appellemus, per quas imagines
rerum absentium ita repraesentantur animo, ut eas cernere oculis ac praesentes
habere videamur. So mochte Theon in dem Muftermorde des Orestes nicht nur
durch den Mord selbst, sondern durch das Heranstürmen der Furien, welche
den Orest mit Wahnsinn bedrohen, die Phantasie des Beschauers in die höchste
Spannung versetzen; so mochte im Thamyras die moralische und physische
Vernichtung des eben noch so hochmüthigen Sängers auch den Beschauer mit
zu ergreifen scheinen. — Diese Angaben, so wenige ihrer sind, reichen doch
hin, um von ihnen ausgehend das besondere Verdienst des Künstlers nicht nur
an sich, sondern auch im Verhältniss zu der gleichzeitigen und folgenden Enf-

254 wickelung der Kunst in kurzen, aber scharfen Zügen hinzustellen. An keinem
früheren Künstler zeigt sich die Einwirkung der Bühne in so schlagender Weise,
wie an ihm. Ich sage absichtlich: der Bühne, nicht der dramatischen Poesie;
denn wie hätte die bildende Kunst sich der Einwirkung der letzteren in der

M VI, 2, 29.
 
Annotationen