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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0194

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184

Die Maler.

Blick für das Psychologische geschärft, und es war dadurch möglich geworden,
auch die flüchtigsten und vorübergehendsten Stimmungen im Kunstwerke fest-
zuhalten. Es erschloss sich dadurch in der Darstellung des Gefühls- und Seelen-
lebens ein neues und weites Gebiet; und unter der Hand des Aristides schien
die Kunst sogar wieder zu grosser Innerlichkeil und Tiefe zurückkehren zu
wollen. Allein das Wesen seiner Persönlichkeit Hess sich nicht nach Belieben
auf Andere übertragen, und die Zeit drängte im Gegentheil zu einem mehr
sinnlich fassbaren Ausdruck menschlicher Kraft und Leidenschaft. So schlägt
die Richtung des Aristides plötzlich in den Realismus des Euphranor um, der
sofort einen weit verbreiteten Einiluss gewinnt. Dies geschieht zunächst inner-
halb der Schule, wo uns die Leistungen des Nikias nur die weitere und be-
wusstere Entwickelung der von Euphranor zuerst befolgten Grundsätze zeigen;
aber auch in den Werken des Antiphilos, des Theon lässt sich ein ähnlicher
Geist nicht verkennen. Denn den effectvollen Gompostionen des Letzteren lag
offenbar keine andere Absicht zu Grunde, als die, auf diesem Wege die durch
die Kunst darzustellende Handlung in so lebendiger Schilderung dem Be-
4 schauer vorzuführen, dass eine gewaltige oder erschreckende Wirklichkeit aus
unmittelbarer Nähe auf ihn selbst einzustürmen, gewissermassen ihn selbst
niederwerfen zu wo'.len schien. Bei Antiphilos dagegen, dessen Hesione und
Hippolytos seine Verwandtschaft mit dem zuletzt genannten in dieser Beziehung
hinlänglich bezeugen, gewinnt der Realismus eine noch weit grössere Aus-
dehnung, indem er sich selbst in der Wahl von Darstellungen, wie der Wolle-
bereitung, geltend macht. Nehmen wir dazu sein Bild des Feuer anblasenden
Knaben, so lässt sich nicht verkennen, dass, wenn auch das Verdienst seiner
eigenen Werke noch mehr in der Auffassung des Ganzen, als in der Durch-
führung des Einzelnen liegen mochte, seine Bestrebungen doch in ihrer weiteren
Fortbildung zu reinem Naturalismus führen mussten: und ein solcher reiner
Naturalismus tritt uns denn in der Rhopographie wirklich entgegen, welche auf
den Adel oder den geistigen Gehalt des darzustellenden Stoffes ganz verzichtet
und ihr Verdienst lediglich in der täuschendsten Nachbildung der Wirklichkeit
bis ins Einzelnste sucht. So gewinnt die Persönlichkeit des Antiphilos für uns
eine erhöhte Bedeutung, indem sie uns lehrt, wie scheinbar so weit von ein-
ander abliegende Bestrebungen auf dem Gebiete der Kunst doch aus einer und
derselben Grundrichtung des Geistes hervorgehen können und wirklich hervor-
gegangen sind.

Neben dieser Entwickelungsreihe haben wir jedoch noch eine andere kennen
gelernt, welche zu der bisher betrachteten unleugbar in einem bestimmten Gegen-
satz steht: ich meine diejenige, als deren höchste Leistungen die Werke des
Apelles und Protogenes anzusehen sind. Zwar sagt Petronius (c. 84), er habe
die Studien des Protogenes nicht ohne einen gewissen geheimen Schauer wegen
ihrer mit der Wirklichkeit wetteifernden Naturtreue betrachten können; und
somit lässt sich ein eifriges und sorgfältiges Naturstudium auch bei ihm als
•die Grundlage seiner Kunstübung nicht verkennen. Dagegen verleugnet sich
bei ihm wie bei Apelles jener Realismus in der geistigen Auffassung der dar-
zustellenden Gegenstände durchaus. Schon die Portraits dieser Meister lehren
dies augenscheinlich: sie sollen nicht eine wirkliche Person einfach vergegen-
 
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