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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 4
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Neugass, Fritz: Paul Cézanne (1839-1906)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0134

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Laroche entstanden sein. In wildem Trotz, verhaltener Leidenschaft und unruhiger
Spannung wächst der gigantische Kopf aus dem Körper heraus und gleicht eher einem
Monument als einem einfachen Bildnis. Wie ein Gewölbe wäclist die Stirn über der
rätselhaften Dunkelheit der Augen empor und die düstere Schwärze des Bartes und
der Haare umfaßt in flackernder Silhouette und in trotziger Kurve die helle Fläche
des Gesichtes. Im Hintergrund ist eine Landschaft angedeutet. Die Horizontale des
Weges und die Vertikale der Bäume verleihen dem Kopf eine noch stärkere Plastizität.
Alle Kämpfe, Skrupel und Qualen des verkannten Künstlers, jene lauernde Feindschaft
und Abseitigkeit, die Fremdheit der Umgebung sprechen aus diesem erschütternden
Zeugnis des Einsamen.

Ruhiger und geklärter ist das Selbstbildnis vor der Staffelei von 1888 aus der Samm-
lung von Cezannes Sohn. Der 49 jährige steht vor der Staffelei, die allein die räum-
liche Tiefe des Bildes bewirkt. Sein Kopf zeigt die gemeißelten Formen einer Skulptur.
Sein Blick ist auf die Leinwand gerichtet und verrät die unerschütterliche Kraft und
eiserne Energie des Künstlers, der in ewigem Ringen und härtester Arbeit die Einheit
der künstlerisclien B’orm zu erkämpfen bemüht ist. Sein fanatisches Auge und die
trotzige Energie seiner Stirn und der Wangen erinnern in ihrem psychologischen Aus-
druck an manche Selbstbildnisse Van Goghs, der ebenfalls ein Wahrheitsbesessener war
und die ganze Welt gegen sich wußte. Die Palette in der Hand des Meisters gibt uns
die ganze Skala seiner Farben vom tiefsten Grün bis ins leuchtendste Gelb.

Ein späteres Selbstbildnis aus der Sammlung Sacha Guitrys zeigt uns den Kopf in drei-
viertel Ansicht. Wie ein mächtiger Block ragt er aus dem Bilde heraus und sieht uns
lebendig und rätselhaft an. Ganz ohne Pose oder Geste steht er da, in seiner vollen
runden Form, in seiner ganzen sinnlichen Erscheinung und mit jenem fragenden Blick,
der von Trotz und Wehmut zugleich erfüllt ist.

Trotz dieser erschütternden Selbstbekenntnisse, die uns die tiefsten Seelenqualen des
Meisters verraten, ist Cezanne kein eigentlicher Porträtist. Er war zu sehr mit dem
Bildganzen beschäftigt, als daß er sich in individuelle Einzelheiten hätte verlieren
können. Er arbeitete zu langsam und zu ermüdend, als daß man ihm mit Freuden
Modell gesessen hätte. Er liebte es nicht, bei der Arbeit durch fremde Personen ge-
stört zu werden und bevorzugte deshalb Motive, nach denen er ruhig und unabhängig
arbeiten konnte. Die Bildnisse nach seiner Frau aus der Sammlung Guillaume sind
alles andere als Cliarakterstudien. Alles Persönliche, aller Dekor wurden vermieden.
Cezanne suchte die großen Massen, die großen Schatten und die großen Akzente zu
geben. Das Bildganze war ihm wichtiger als die Person.

In seiner ganzen Gruppe der Kartenspieler und rauchenden Bauern, die ihn in den
neunziger Jahren beschäftigte, ist die Komposition das wichtigste. Schon Caravaggio
hat das gleiche Thema behandelt, doch er wirkt neben Cezanne wie ein Räuberroman
neben einem Heldenepos. Cezanne suchte nicht zu dramatisieren; er gibt Alltägliches,
aber ohne Banalität. Man denke daneben einmal an die »Dorfpolitiker« von Leibl.
Dort genrehafte Kleinmalerei, hier straffe Zucht im Aufbau und nüchterner Ernst der
Bildlogik. Nie wirkt das Stoffliche gegenständlich. Die Farbe vergeistigt alles.

Als Cezanne in den Jahren 1875/74 m! 1 Pissarro und Guillaumin nach Auvers-sur-Oise
zog, um nach der Natur und in impressionistischer Manier zu malen, stürzte seine
ganze bisherige Welt wie ein Kartenhaus zusammen. Er geht mit den anderen ins
Freie und malt dieselben Motive. Pissarro hat ihn in dieser Zeit am stärksten angeregt
und seine Bilder aus dieser Epoche verraten deutlich die lebendigen Beziehungen.
Doch Cezanne sieht alles schärfer und nüchterner; er verliert sich nicht in die reine
Auflösung der optischen Ersclieinung. Bei Pissarro überraschen dieTonfülle, das Gelb-
Rot-Grün und die leuchtenden Sonnenflecke. Cezanne wußte die Toneinheit stärker

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