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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 11
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Giedion, Sigfried: Architekt und Konstruktion: Bemerkungen zum Ausstellungslokal Citroën, Rue Marboeuf, Paris 1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0338

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Ausstellungslokal für Automobile, Rue Marboeuf, Paris 1929 Phot. S. Giedion

Dies ist seit laugem bekannt. Weniger offensichtlich aber ist es, daß die zögernde
Entwicklung, die sich in der Architektur vollzieht, zum großenTeil auf einer ähnlichen
Romantik beruht. Das Haus, wie es uns überliefert wurde, verdankt sein Aussehen
dem liandwerklichen Produktionsprozeß, ja das ganze Aussehen der Architektur, wie
es in Jahrhunderten sich gebildet hat, beruht darauf. Der Sprung von einem Stil zum
andern ist gering gegenüber der Wandlung, die im Übergang vom handwerklichen
zum industriellen Produktionsprozeß liegt.

Selbstverständlich muß man in Rechnung ziehen, daß die Menschen, seit sie denken
können, gewohnt sind, handwerklich zu arbeiten und von den Dingen verlangen, daß
sie das Aussehen von handwerklich bearbeiteten Produkten annehmen. Dieses Ge-
fühl ist auch hundert .Tahre nach Einführung der industriellen Metlioden nicht er-
loschen, aber ein Jahrhundert des Zögerns mag auch auf dem Gebiet der Architektur
genügen. Es dürfte der Augenblick gekommen sein, endgültig auf das anderslautende
Kommando unserer Zeit zu hören.

Wir sind nicht blind vor der Schönheit des Parthenon oder vor St. Denis. Wir emp-
finden durchaus den unvergänglich menschlichen Niederschlag in diesen Gebilden und
begreifen, daß man nicht beim rohen Stein stehen geblieben ist, sondern ihn mit
Kanneluren versah und in der intimen Vermenschlichung des Materials bis zu tragen-
den Karyatiden schritt.

Alle Bauten setzten sich verhältnismäßig primitiv aus fertig vorgefundenen Materialien
zusammen. Sie wurden von Hand aus in die dienliche Form gebracht und entsprechend
dem unzerstörbaren menschlichen Bedürfnis, einen Schritt über das rein Nützliche
liinaus zu tun, zu Ornamenten, Kapitellen, Säulen und Statuen weiter ausgeformt.
Organisch erwuchs aus dem Produktionsprozeß ein gefühlsmäßiger Inhalt, der aber in
Form und Ausdruck mit dem Ausgangspunkt übereinstimmte.



Unsere Bauten setzen sich im wesentlichen nicht mehr aus fertig vorgefundenen Ma-
terialien (Stein, Ziegel, Holz) zusammen. Die Materialien selbst(Eisen,Eisenbeton) werden

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