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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Gellhorn, Alfred: Formung der Grossstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0065

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ßenraum zu eng wurde, um solche Ideen
überhaupt fähig werden zu lassen.
Aber auch diese neue Phase ist bereits er-
kannt und bedarf, wenn sie auch noch der
Verwirklichung harrt, keiner weiteren Er-
örterung. Hinzuzufügen bleibt noch eines:
die Konsequenz für schöpferische Gestal-
tung. Denn diese setzt immer am frucht-
barsten ein, wo die realen Verhältnisse An-
laß geben wie hier. Es genügt gewiß nicht,
daß die Menschen praktische Einfälle
haben. Fehlt das „Salz", so wird immer ein
ungelöster Rest bleiben. Erst die Intuition
kann die Summe technischer und geistiger
Leistung bringen, aus der eine Stadt als'
gestaltetes Werk, nicht als Zufallserzeug-
nis, wird. Das Leitmotiv wurde bereits er-
wähnt. Es ist die Dreidimensionalität, die
Eroberung der Luft für den Bau der Stadt.
So wie nach unten das Erdreich in den
Wirtschaftskörper hineinbezogen wird und
ebenso genau ausgenutzt wie die Oberfläche
selbst, so werden wir gut tun, auch na.ch
oben zu schauen. Vielleicht spricht hier zu-
nächst noch nicht der bloße Zweck mit.
Denn es erscheint dem Bürger heute verstie-
gen, wenn z. B. einer kommt und sagt: Wir
wollen nicht bloß in den Straßen bleiben,
wo wir im Verkehr untergehen. Wir wol-
len von oben in das Getümmel herabsehen,
wir wollen die Stadt erleben und über-
schauen. Der Vollbärligc nimmt sich kaum
Zeil, auf solche Sentimcnts zu hören, die
ihm nicht rentabel scheinen. Aber bald
wird man finden, daß die Verkehrslärme
nicht ausreichen, daß sie höher hinauf müs-
sen. Man wird Leuchttürme des Verkehrs
brauchen, die nun vielleicht für die mo-

derne AVeit das werden, was im Mittelalter
die Kirchtürme, was den Chinesen ihre Pa-
goden und Glockenspiele. Man wird ein
Symbol haben, weil man es zunächst
brauchte, rein praktisch, und weil daran
neue ideologische Momente sich fügten, was
wir sehr nötig haben. Und es wird nicht
ausbleiben, daß sich das Gesellschaftsleben
dem anschließt. Man wird seinen Kaffee
lieber in der Höhe trinken, und es werden
sich gewißlich unternehmende Leute fin-
den, die dem entgegenkommen. Es ist doch
schon ein Gedanke von Format, daß die
Menschen wieder Sinn bekommen für Lust-
wandeln innerhalb ihrer eignen Welt, aus
der sie vorläufig gewohnt sind zu ent-
fliehen, so oft es ihnen möglich wird. Und
es ist Anreiz für Gestaltung.
Freilich wird man solche Bauten in die Luft
anders machen müssen als das Bisherige.
Es kann diesen gewiß nicht förderlich sein,
wenn die Eigengewichte der Baumassen un-
nütz groß sind. Der Eisenbeton scheidet
darum aus. Eher wäre an das Eisenfach-
werk zu denken, kombiniert mit den Leicht-
metallen, die eines Tages wohl von der un-
gebührlichen Preishöhe herabsteigen wer-
den, die ihrer allgemeinen Verwendung
heute noch im Wege steht. Scheute man
sich in der vergangenen Zeitperiode vor den
unverhüllten Durchbrechungen der Fach-
werkskonstruktionen und bevorzugte die
Blcchlräger, deren geschlossene Wandun-
gen den landläufigen Begriffen von ge-
schlossener Form entsprachen, so hat sich
das Empfinden hier ins Gegenteil gewan-
delt. Darum steht freiester Gestaltung kein
Hindernis entgegen.

AVENUE DES WESTENS

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