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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0069

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gcbelcl wird, ist keine. Sie wird zur Dirne, wenn
sie nur zur „Verzierung" angefertigt und auf-
gestellt ist. Gegenstück zum Högerschen Kirchen-
pfeiler !

Leidenschaft zum Bauen — muß sie sich nicht
im Bauen, im unbedingten Bauen zeigen? Und
Leidenschaft zum plastischen Formen — muß sie
nicht ebenso ganz und gar in sich ruhen? Wer
ein Porträt z. B. mit neuen, heuligen Mitteln
zur sprechenden Lebendigkeit zwingen kann, wie
es Bölling im Buchdruckerbaus in hohem Grade
erreicht bat, einen Kopf, dessen richtunggebende
Gedanken die Versammlung immer als Leitstern
haben will, — muß ein solcher Bildhauer nicht
leicht den Weg zu dem Architekten finden, der
sein Kamerad ist, weil beider Streben dasselbe
Ziel hat, nämlich die reine bedingungslose Dar-
stellung des tatsächlichen Inhalts?

Wir suchen die Wahrheit. Daß wir sie schon
genau sehen, wollen wir nicht behaupten. Jedoch
sehen wir, daß mit diesen neuen Reminiszenzen
eine Schranke auf dem Weg zur Wahrheit errich-
tet wird. Bruno Taut

Wir sind Ihnen, sehr verehrter Herr Taut, für
Ihre Einwände sehr dankbar. Wenn wir noch
einmal darauf erwidern, tun wir es nicht, um
recht zu behalten, sondern weil wir glauben, daß
sich aus der Diskussion manches Fruchtbare er-
geben kann, — wie wir überhaupt hoffen, daß
unsere Leser recht oft ihr Interesse an den in
der „Form" behandelten Problemen durch Zu-
schriften zu erkennen geben.

Um mit dem weniger Wichtigen zu beginnen:
auch wir halten die rein dekorative Anbringung
einer Madonnenslatue für zum mindesten über-
flüssig, wenn nicht für eine schlimme Profanie-
rung. Aber in diesem Falle handelt es sich um
ein Gebäude, das „Liebfraucnhof" heißt und
einem Kloster vorgebaut ist. Die Madonnenslatue
paßt also zum mindesten zu der Tradition des
Ortes, und wenn das Haus auch heute ein Ge-
schäftshaus ist, so ist daran zu erinnern, daß in
früheren Jahrhunderten zahllose Madonnen-
staluen an profanen Häusern angebracht waren:
vor keiner dieser Statuen wurde gebetet. Im übri-
gen ist die Ablehnung auch nicht aus dem Grunde
der Profanierung erfolgt, sondern, weil die Form-
gebung zu „modern" war. Wenn es eine kitschige
Madonna gewesen wäre, wäre die katholische Be-
völkerung begeistert gewesen. Davon haben wir
in unserer Notiz gesprochen.

Von größerer Wichtigkeit ist der andere Punkt.
Denn da handelt es sich um eine sehr grund-
sätzliche Frage. Sie haben sicherlich mii [hrer
Kritik der Högerschen Backsteinornamentik vie-
len Lesern der „Form" aus dem Heizen
gesprochen. Heule ist ja die Ablehnung des Or-
naments zu einer Art von Glaubenssatz gewor-
den, und wer dem Ornament überhaupt norli eint'

Daseinsberechtigung zubilligt, der will sicherlich
an einem Fabrikbau nichts dergleichen sehen.
Aber sehen wir einmal davon ab, daß man nicht
von jeder Fabrik die gleiche Nüchternheit und
strenge Sachlichkeit zu verlangen braucht, daß
man es wohl begreifen kann, wenn ein Fabri-
kant von Duftstot'J'en seinem Fabrikbau durch
eine etwas reichere Ausgestaltung eine Art von
Reklamewirkung verleihen will, — man wird es
doch kaum ablehnen dürfen, daß eine Fabrik in
Mauerwerk gebaut wird. Und das Mauerwerk ist
bis auf weiteres doch noch als Handwerk zu wer-
ten, und wo es noch Handwerk gibt, da kann man
schließlich auch nicht eine etwas individuellere
Form, eine gewisse Abkehr von der allzu exakten
„.Sachlichkeit" verbieten. Darin scheint uns aber
die eigentliche Wurzel der Högerschen Ornamen-
tik zu liegen, und deshalb halten wir sie im
Grunde für gesund: sie ist unmittelbar aus der
Arbeit des Handwerkers am Material entwickelt.
Solange es Handwerker gibt, denen es Freude
macht und die imstande sind, aus Backsteinen
nicht nur eine glatte Mauer zu errichten, son-
dern ein Ornament zusammenzufügen, und so-
lange es Bauherren gibt, die an einer solchen
Ornamentik Freude haben und bereit sind, die
Mehrkosten zu tragen, scheint es uns etwas gar
zu rigoros zu sein, wenn man jede solche Form
verbietet oder als überflüssige Romantik, als einen
unzulänglichen Versuch, die ..Seele" zu retten,
ablehnt. Höger erzählt, mit welcher Freude die
von ihm dafür geschulten Maurer derartige Ar-
beilen ausführen, — vielleicht ist diese Freude
gar nicht so verschieden von der, die die gotischen
Handwerker halten, wenn sie an den Domen arbei-
teten. Daß die gotische Bauornamentik immer
religiös oder mystisch gemeint ist, wäre noch zu
beweisen. Vielleicht kam auch sie nur aus der
in ihrer Lebendigkeit echt religiösen Freude am
handwerklichen Formenspiel.

Da scheiden sich nun freilich einstweilen noch
die Geisler. Wir sind so weit noch einig, ajs
auch wir die bisherige Ornamentik für endgültig
erledigt und die letzten Versuche der Schaffung
einer abstrakten Ornamentik für gescheitert hal-
ten. Auch hallen wir den neuerwachten Sinn für
die Schönheil einer ornamentlosen Form, die
zweifellos dem Wesen unserer Zeit sehr gemäß
ist, für ein erfreuliches Zeichen. Aber wir glau-
ben an eine „ewige Ornamentik", wie wir auch
die glückliche Formulierung Ilarllaubs vom „.ewi-
gen Handwerk" uns zu eigen machen möchten.
Wir halten die Untersuchungen Kropps in seinem
Buche „Wandlung der Form" für höchst wich-
tig und fruchtbar. Wie lange es dauern wird,
bis eine neue Ornamentik herangewachsen ist,
wissen wir nicht. Wir möchten aber glauben;
daß in den Högerschen Backsteinornamenlen -
die wir keineswegs alle für gelungen hallen -
ein gesunder, entwicklungsfähiger Keim vorhan-
den ist. W. Rieder

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