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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Riezler, Walter: Einheit der Welt: ein Gespräch
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0257

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loten, rechnerisch-nüchternen Gebilden mit der
Hilfe der photographischen ,,Kunst" einen trü-
gerischen Schein von Leben zu verleihen.

1 m

Den Herausgeber: Alles, was zutage liegt, spricht
dafür, daß Sie recht haben! Ich will Iljre These
selbst noch durch einen Hinweis stützen: Die
„Einheit der Well" im Nebeneinander von Nalur-
und Menschenwerk tritt da für jeden unmittelbar
in Erscheinung, wo eine alte Stadt noch unge-
stört durch moderne Unform in der Landschaft
liegt. Auch noch reine Nulzbaulen, etwa eine
Sleinbrücke, die nur konstruktive Formen zeigt,
geht mit ein in die Harmonie. Auch in dem doch
errechnelen oder jedenfalls statisch bedingten
Bogen lebt noch etwas von "der unmittelbaren
Dynamik, die auch die Linien der Hügel und
Berge geschaffen hat. Wird aber an einer sol-
chen Stelle eine Eisenbrücke — wir wollen an-
nehmen, eine von der vollkommensten Art —
errichtet, so ist es um die Harmonie der Land-
schaft getan. Die Brücke ist ein fremder Ton, der
mit dem andern nicht zusammenpaßt.

Den Leser: Wie sollte das auch anders sein! Daß
diese Form nicht „gewachsen", sondern errechnet
ist, das läßt sich doch wirklich nicht bestreiten,
und zudem ist Eisen oder Stahl nicht wie Holz
oder Stein ein natürliches, sondern ein sehr künst-
liches Material. Wir befinden uns eben hier ganz
im Beiche des menschlichen „Geistes", nicht des
Lebens, — und deshalb kommt dieser „techni-
schen Form", wie wir sie einmal nennen wollen,
auch kein „Rhythmus", sondern höchstens „Takt"
zu. Diese wohl von Ludwig Klages stammende
Scheidung zwischen der Urlatsache des „Rhyth-
mus", den man vielleicht auch den „Weltatem"
nennen kann, und der wie der Atem frei, nicht
genau meßbar und regelmäßig wiederkehrend ist,
und dem „Takt", der als Produkt des mensch-
lichen Geistes in seiner starren Gleichförmigkeit
des eigentlichen Lebens entbehrt, ist mir immer
besonders geistvoll erschienen. Die absolute kon-
struktive „Sauberkeit" und Präzision der tech-
nischen Form, die ein Abweichen von der Gera-
den oder überhaupt von der errechneten Regel
nicht zuläßt — ganz im Gegensatz zu der Frei-
heil, mit der die gerade Linie etwa im Mauers
werk behandelt werden kann, ja sogar soll! —,
ist es ja gerade, die an der Seelenlosigkeit und
Unlebendigkeit aller dieser Formen schuld ist.

Der Herausgeber: Die Scheidung von Takt und
Bhylhmus ist sicher einleuchtend und zweifellos
richtig. Aber stimmt es denn, daß man von
„Takt" nur im Reiche des menschlichen Geistes
reden kann? Ist die strenge Regel, die auf Be-
rechnung beruht oder sich der Berechnung ent-
hüllt, nicht vorgebildet in der Bewegung der Ge-
stirne? Wie wäre es möglich, diese Bewegung zu
berechnen, d. h. wissenschaftlich, mit den Mitteln
menschlichen Geistes zu ordnen, wenn in ihr freie
rhythmische Atmung und nicht die strenge Regel-
mäßigkeit des Taktes herrschte? Vielleicht wäre

der menschliche Geist niemals auf die Forde-^
rung strenger Regel, starrer Einteilung von Raum
und Zeit gekommen, wenn er sie nicht draußen
im Weltall erkannt hätte. Wir beginnen da jetzt,
allmählich zu ahnen, welche seltsamen Zusam-
menhänge zwischen dem Bauen der Ägypter und
ihren astronomischen Erkenntnissen bestanden.
Ich glaube, wir müssen die Freiheit des Rhyth-
mus anders erklären: als die Folge des Aufein-
anderwirkens verschiedener, nicht nur zweier
Kräfte; genau wie die Form eines Blattes unregel-
mäßig ist, weil eine Vielheit von Kräften und Ein-
flüssen dabei wirksam ist — das Blatt wüchse viel-
leicht symmetrisch, wenn die innere Kraft des
Wachstums nicht von außen beeinflußt würde —,
ist die bewegte Form, der „Rhythmus" der Mee-
reswogen deshalb so frei und fast regellos, weil
der auf das Wasser wirkende Wind infolge der
Einflüsse der Sonne und anderer Kräfte nicht in
jedem Augenblicke mit gleichmäßiger Stärke
bläst. Da nun die „technische Form" das Ergeb-
nis einer genau überlegten Auswahl und Abmes-
sung von Kräften durch den Menschen ist, so ist
es nicht weiter wunderbar und noch kein Beweis
gegen die ..Natürlichkeit" auch dieser Formen,
wenn wir die strenge Regelmäßigkeit als zu ihrem
Wesen gehörig erkennen, ja fordern müssen. Die
Naturkräfle bleiben darum auch hier wirksam.

Der Leser: Daß auch der technischen Form Na-
turkräfle zugrunde liegen, das scheint mir aber
fast ein Gemeinplatz zu sein: woher sollte der
Mensch die Kräfte, die er benutzt, nehmen, wenn
nicht aus dem Vorrat der Natur! Aber wo bleibt
das „Wachstum", das ich Ihnen als Beweis der
Naturhaftigkeit der Kunstformen vorhin noch zu-
billigen mußte, wo bleibt die Beseelung, die für
die Kunst ganz sicher gilt und die auch für die
Natur in einem übertragenen Sinne noch gellen
mag, wenn der Konstrukteur einer Brücke auf
Grund komplizierter Formeln aus Belastung, Zug-
und Druckfestigkeit und allen diesen Größen die
Form berechnet? Spüren Sie die Kälte des Todes
nicht, die von allen diesen Formen den Beschauer
anweht?

Der Herausgeber: Wir wollen auf dieses gefähr-
liche und nicht sehr beweiskräftige Gcfühlsargu-
ment einstweilen lieber verzichten! Es könnte
doch immerhin sein, daß sich das Gefühl des
Menschen beim Betrachten technischer Formen
im Laufe der Zeit wandelt, daß er sich nicht
nur daran ,,gewöhnt", sondern daß er besser und
anders zu sehen lernt. Wir wollen einstweilen
einmal die „Seele" aus dem Spiel lassen und
lieber von der „lebendigen Kraft" reden, von der
wahrscheinlich auch die „Seele" nur ein Teil ist,
die uns jedenfalls wieder dein Bereiche der
,,Natur" zuführt. Und da müssen wir allerdings
nicht auf eine Eisenbrücke exemplifizieren, son-
dern an eine Maschine denken, in der die leben-
dige Kraft unmittelbar in Erscheinung tritt.
Geben Sie zu, daß diese Formen etwas Leben-
diges ausdrücken?

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