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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Lotz, Wilhelm: Handwerk, Werkbund und Kultur: das Für und Wider der Zusammenarbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0357

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maße als etwas Endgültiges anzusehen, weil eine
weitere Entwicklung in technischer oder formaler
Hinsicht, die in unserer schnellehigen Zeit sehr
rasch vor sich gehen kann, von Normenmaßen
eine ungesunde Fesselung auferlegt bekommen
könnte.

Gerade im Werkhund ist auf diese Entwicklung
immer hingewiesen worden. Es wird daher immer
mehr seine Aufgabe sein, seine Arbeit der ganzen
Breite der Produktion zuzuwenden. Wenn wir
wirklich jetzt in der Entwicklung soweit gekom-
men sind, daß von den Neueren die ersten Grund-
lagen gelegt sind, so muß nunmehr die breite Basis
zu einer Kultur geschaffen werden, wie sie sich
jetzt erst in einzelnen Erscheinungen ankündet.
In der Industrie geht die Entwicklung fast hem-
mungslos heule weiter. Im Handwerk liegen auf
diesem Weg weit mehr Hemmnisse, weil es im
Gegensatz zu seiner Hallung im Mittelalter durch
den Einfluß der Entwicklung seit der Renaissance
her zuviel künstlerischen und individuellen Ehr-
geiz besitzt. Wo es nur irgend an das Kunst-
handwerk grenzt, ist dieser Ehrgeiz noch am stärk-
sten. Um so wichtiger ist es, daß Mensch von der
wirtschaftlichen Seite her zu Erwägungen kommt,
die ganz im Sinn der Entwicklung zu einer typi-
sierenden Gestaltungsweise liegen. Wir denken an
das, was er über die \erteilung des Schöpferischen
und Erlernbaren bei Künstlern und Handwerkern
gesagt hat. Gerade zu diesem Punkt hat Dr. Biez-
ler in seinem Beferal ausführlich Stellung ge-
nommen, und wir möchten nur darauf hinweisen,
daß es eine große Gefahr bedeutet, wenn man
unter diesem Erlernbaren ein Aufimpfen von
bestimmten Formelementen verstehen würde. Der
Handwerker muß dazu erzogen werden, aus der
besonderen Eigenart seiner Gestaltung zu be-
stimmten Formen zu kommen, die dem Zeitge-
fühl nicht widersprechen. Der Wert der hand-
werklichen Erzeugung liegt nicht nur in der An-
gleichungsmöglichkeit an den individuellen Ge-
schmack, sondern liegt im Charakter der Arbeit
und in der charaktervollen Darstellung der Arbeit
selbst.

Daß auch diese Werte ,,erlernbar" sind, in gutem
wie in schlechtem Sinn, beweist die Entwicklung
des Handwerks. Trotzdem Dr. Meusch gesagt hat,
daß für Ilni ..das Erlernbare mit der Erkenntnis
der wirtschaftlichen, sozialen, technischen und for-
malen Vorbedingungen für das handwerkliche
Schaffen" beginnt, hat diese Gegenüberstellung
vom Erlernbaren und Schöpferischen viel Unheil
angerichtet, weil sie falsch verstanden worden ist.
Wer eine solche Gegenüberstellung ausspricht,
hätte vorher die Begriffe von Kunst und hand-
werklichen Gestaltungswerten genau klären müs-
sen. Auch Julius Schramm, den wir als Kunst-
handwerker im Rahmen dieses Heftes gern zur
Sprache kommen ließen, weist auf die Unklarheit
hin, die diese Sätze Meuschs beim Hörer und
Leser aufkommen lassen müssen.
Bei uns ist das Gefühl für handwerkliche Werte
stark zurückgedrängt. Wenn man ein handwerk-

liches Stück haben will, so will man damit etwas
Besonderes, Eigenartiges haben, und muß sich des-
halb immer des Künstlers als Mittelsmann bedie-
nen. Es sei einmal darauf hingewiesen, daß eine
bestimmte breite Schicht in England ein viel stär-
keres Gefühl für Qualilälswerte hat, die in der
handwerklichen Arbeit ihre Quelle haben, und die
sich durchaus nicht auf etwas formal Besonderes
stützen, sondern auf die Darstellung des Materials.
So bei der englischen Jlerrenkleidung. die auch
durch ihren sportlichen Charakter dazu neigt, und
die trotz alledem die typenhaf teste ist. Es kann
nicht gesagt werden, daß der Engländer mehr
Handarbeit als Industriearbeit bevorzugt, sondern
nur, daß er ein starkes Qualitätsgefühl für Werte
hat, deren vorzüglichster Boden die Handarbeit
ist. Man denke an die Klarheit der Musterung der
englischen Herrenstoffe oder an die Form der
Schuhe.

Es wird nicht zuletzt Aufgabe des Werkbunds sein,
das Qualitätsgefühl für solche handwerklichen
Werte auch in der Breite zu wecken, und dieses
Qüalitätsgefühl gegenüber dem der industriellen
Erzeugnisse abzugrenzen. Das braucht durchaus
keine Beaklion auf die einseitige Beschäftigung
mit der industriellen Gestallung zu sein, sondern
nur ein klares Verteilen der Werte. Man muß
sich aber auch wiederum davor hüten, Handwerk
und Industrie zu sehr zu trennen und zu sehr
gegenüberzustellen. Man wird sie nur in ihren
markantesten Erscheinungen nebeneinanderstellen
können und die fließenden Grenzen immer be-
rücksichtigen müssen. Das Handwerk hat gegen-
über der Industrie seine Eigenart, wenn nicht so-
gar gewisse Vorzüge. Es hat Gebiete, auf denen es
sich immer behaupten wird. Sie liegen da, wo eine
Berücksichtigung eines ausgesprochenen hand-
werklichen Qualitätsgefühls beim Käufer notwen-
dig ist, wo individuelle und besondere Wünsche
berücksichtigt werden müssen, und da, wo der
menschliche Körper auf Grund seines feinfühli-
gen Organismus exakter und genauer arbeiten
kann als die Maschinen (ein Beispiel stellen die
Ausführungen über das Handwerk in der Solinger
Stahlwaren-Industrie in diesem Heft dar). Sie
wird selbstverständlich überall da an ihrem Platz
bleiben, wo eine Vereinigung mit einem künst-
lerischen Schaffen gegeben oder notwendig ist,
entweder in einer Person oder in Verbindung
zwischen Künstler und Handwerker. Hier muß
gesagt werden, daß Dr. Meusch in seinem Referat
unter dem künstlerischen Moment vielleicht etwas
zu sehr die formale künstlerische Neuschöpfung
verstanden hat. Für uns ist ein Künstler auch der
Handwerker, der aus den Gegebenheiten seiner
Technik und dem Material und aus dem ererbten
Gefühl für diese Dinge wirklich charaktervolle Ar-
beilen schafft. Der Begriff der Kunst in Verbin-
dung mit der gestaltenden Arbeit ist ungeheuer
schwierig abzugrenzen und man soll versuchen,
bei der Diskussion über dieses Thema den Begriff
der Kunst so viel als möglich auszuschalten.

W. Lötz

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