auf das durchaus wichtige Buch von Heinrich Bechtel (Der
Wirtschaftsstil des Spat-Mittelalters) hingewiesen hat und auf
Bechtels Absicht, künstlerische Phänomene zur Aufhellung
schwieriger ökonomischer Zustände und Zusammenhänge heran-
zuziehen, möchte ich zwar die Absicht Bechtels mit Riezler für
überaus verdienstvoll und sinnreich ansehen, im besonderen
Falle aber den Beweis für nicht voll erbracht halten, weil auch
Bechtel — sieht man näher zu — über die Inhalte, Verwen-
dungen und Zwecke der Kunstwerke, die er heranzieht, nicht
hinausgekommen ist. Es ist ungemein lehrreich und wertvoll,
was er darlegt . . . aber es ist keine Kunst-Soziologie, sondern
allgemeine Soziologie, zufällig auf Kunstwerke angewendet.
Denn täuschen wir uns nicht: in dem Material, aus dem Bechtel
die Gesellschaft herausdestilliert, war ja diese Gesellschaft von
vornherein enthalten, so wie in dem Quecksilber, aus dem
Miethe Gold destillierte, ohne sein Wissen dieses Gold schon
enthalten war. Alles, was mit Auftrag, Inhalt, Zweck, Ver-
wendung eines Kunstwerks zusammenhängt, ist von vornherein
gesellschafts-haltig.
Von einer Kunst-Soziologie als Wissenschaft können wir nur
sprechen, wenn es gelingt, prinzipiell neues Material zu er-
schließen, etwas, das zuvor nicht Gesellschaft war, in Gesell-
schaft zu verwandeln — statt nur eine direkte Auslösung der
Gesellschaft aus dem Produkt wieder rückzuverwandeln.
Dieses prinzipiell neue Materiai, das bisher nicht Gesellschaft
war, kann nur die künstlerische Form sein, und zwar in ihrem
strengsten und reinsten Sinne genommen. Hier erst bei dem
Eintauchen in dieses spröde Material beginnen die wirklichen
Schwierigkeiten, und es ist sehr charakteristisch, daß Hausen-
stein in seinem „Versuch einer Soziologie der Kunst" (Bild und
Gemeinschaft, Kurt Wolff, 1920) zwar eingangs diese nämliche
Anschauung schroff ausspricht, daß eine Soziologie der Kunst
nur eine Soziologie der Formen sein könne, daß praktisch
aber sein erstes Kapitel „Soziologie der Themen" länger ist als
das zweite, Soziologie der Formen, . . . ja, daß bei Licht
besehen auch diese Hausensteinsche „Soziologie der Formen"
wieder nur eine Soziologie der Themen ist.
Wenn es uns nicht gelingt, die künstlerische Form, genommen
in ihrer strengsten abstrakten Gesetzlichkeit soziologisch zu
deuten und abzuleiten, so brauchen wir von einer Soziologie
der Kunst nicht erst zu sprechen. Sie war bisher immer nur
ein physikalisches Verfahren. Um Wissenschaft zu werden, muß
sie ein chemisches Verfahren werden.
Ich glaube wohl, daß eine solche Deutung und Ableitung
der Formen möglich ist und habe in einem Referat, das ich
am 22. April 1932 im P.E.N.-Club hielt, versucht, eine gewisse
Systematik solcher Deutungen aufzustellen, die ich hier kurz
skizzieren darf. Danach wären zu untersuchen:
I
Wirkungen der Existenz der Gesellschaft an und für sich.
II
Wirkungen der nach Raum und Zeit bedingten besonderen
Gesellschaftsform
Einwirkungen der geopolitischen Situation
Einwirkungen geschichtlicher Ur-Erlebnisse
III
Wirkungen der Zeitgenossenschaft
als verantwortungsbewußter Träger einer kulturellen Über-
lieferung
als amorphes Publikum, öffentliche Meinung, geltender
Geschmack
als Kraftfeld politischer Kräfte.
Natürlich ist dies nicht mehr als eine erste rohe Skizze.
In einigen Aufsätzen der „Sozialistischen Monatshefte" habe
ich in letzter Zeit einzelne Punkte eingehender dargestellt.
In dem erwähnten Referat habe ich nun bereits ausdrücklich
betont, daß die soziologische Deutung der Kunst, so groß ihre
Möglichkeiten auch sein mögen (und wir stehen noch ganz
am Anfang) doch auch ihre Grenzen hat. Sie wirkt tief in
die Form hinein, aber niemals über den Punkt hin-
aus, wo diese Form aus einer Grenzbestimmung
zur erfüllten Gestalt wird. Was heißt das?
Die Soziologie der Kunst vermag uns weitgehend zu deuten
die Form als Norm, die generelle Form einer Zeit, einer Zone,
einer Gruppe, einer Landschaft, einer Gemeinschaft, aber sie
kann uns nicht erklären, weshalb diese Form von einem Giotto
erschütternd, von einem Daddi langweilig erfüllt wird. Immer
deutet sie uns die engere oder weitere Möglichkeit der
Lösungen, schließt die völlige Freiheit des Künstlers in der Wahl
der Formen durch eine geheime Vorwahl aus . . . aber erst
innerhalb dieser Vorwahl, innerhalb der von der Gesellschaft
gezogenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten bewegt sich die
über den Wert entscheidende Leistung des Künstlers. Alle starre
Dogmatik von Soziologen ä tout prix kann nichts daran ändern,
daß dieser Faktor gesellschaftlich nicht mehr erfaßt werden
kann . . ., womit wir nicht behaupten wollen, daß er überhaupt
unfaßbar bleiben müsse. Die Kunst ist kein Frosch, sondern
ein Warmblüter, das heißt: es ist für ihren Organismus aller-
dings nicht gleichgültig, ob sie unter Tropenwärme oder unter
Polarkälte lebt, aber es bleibt ihr die eigene unabhängige
Wärmestation.
Mit Hilfe von Gesellschaftsformen können wir nur Form-Ge-
sellschaften erklären, das ist gewiß sehr viel und wirkt bis in
den individuellen Schaffensprozeß hinein weit über Zwecke
und Inhalte hinaus . . . aber doch nicht bis an die Wurzel der
individuellen Leistung, der die Qualität allein zugehört. Heute
wird immer wieder der Fehler gemacht, Kollektives mit indivi-
duellen Methoden, erst recht aber, Individuelles mit kollektiven
Methoden deuten zu wollen.
Einige Gedanken über die Methode seien angeschlossen:
Vorerst scheint mir gar nichts anderes möglich, als in jedem
einzelnen Falle immer wieder strikte von der Anschauung aus-
zugehen. Mit festen Begriffen zu arbeiten, scheint mir min-
destens heute verfrüht, aber vielleicht auch bei vorgeschrittener
Einsicht nicht unbedenklich. Es liegt bei der Betrachtung der
Kunst doch etwas anders als in anderen Fächern. Was schein-
bar hier und dort in der Kunst das gleiche ist, kann im Zusam-
menspiel der künstlerischen Faktoren doch etwas recht Ver-
schiedenes sein. Hören wir einmal, wie Hausenstein „das"
Stilleben Cezannes deutet: „In seiner formalen überhobenheit
ist das Stilleben Cezannes der strengen formalen Gebunden-
Wirtschaftsstil des Spat-Mittelalters) hingewiesen hat und auf
Bechtels Absicht, künstlerische Phänomene zur Aufhellung
schwieriger ökonomischer Zustände und Zusammenhänge heran-
zuziehen, möchte ich zwar die Absicht Bechtels mit Riezler für
überaus verdienstvoll und sinnreich ansehen, im besonderen
Falle aber den Beweis für nicht voll erbracht halten, weil auch
Bechtel — sieht man näher zu — über die Inhalte, Verwen-
dungen und Zwecke der Kunstwerke, die er heranzieht, nicht
hinausgekommen ist. Es ist ungemein lehrreich und wertvoll,
was er darlegt . . . aber es ist keine Kunst-Soziologie, sondern
allgemeine Soziologie, zufällig auf Kunstwerke angewendet.
Denn täuschen wir uns nicht: in dem Material, aus dem Bechtel
die Gesellschaft herausdestilliert, war ja diese Gesellschaft von
vornherein enthalten, so wie in dem Quecksilber, aus dem
Miethe Gold destillierte, ohne sein Wissen dieses Gold schon
enthalten war. Alles, was mit Auftrag, Inhalt, Zweck, Ver-
wendung eines Kunstwerks zusammenhängt, ist von vornherein
gesellschafts-haltig.
Von einer Kunst-Soziologie als Wissenschaft können wir nur
sprechen, wenn es gelingt, prinzipiell neues Material zu er-
schließen, etwas, das zuvor nicht Gesellschaft war, in Gesell-
schaft zu verwandeln — statt nur eine direkte Auslösung der
Gesellschaft aus dem Produkt wieder rückzuverwandeln.
Dieses prinzipiell neue Materiai, das bisher nicht Gesellschaft
war, kann nur die künstlerische Form sein, und zwar in ihrem
strengsten und reinsten Sinne genommen. Hier erst bei dem
Eintauchen in dieses spröde Material beginnen die wirklichen
Schwierigkeiten, und es ist sehr charakteristisch, daß Hausen-
stein in seinem „Versuch einer Soziologie der Kunst" (Bild und
Gemeinschaft, Kurt Wolff, 1920) zwar eingangs diese nämliche
Anschauung schroff ausspricht, daß eine Soziologie der Kunst
nur eine Soziologie der Formen sein könne, daß praktisch
aber sein erstes Kapitel „Soziologie der Themen" länger ist als
das zweite, Soziologie der Formen, . . . ja, daß bei Licht
besehen auch diese Hausensteinsche „Soziologie der Formen"
wieder nur eine Soziologie der Themen ist.
Wenn es uns nicht gelingt, die künstlerische Form, genommen
in ihrer strengsten abstrakten Gesetzlichkeit soziologisch zu
deuten und abzuleiten, so brauchen wir von einer Soziologie
der Kunst nicht erst zu sprechen. Sie war bisher immer nur
ein physikalisches Verfahren. Um Wissenschaft zu werden, muß
sie ein chemisches Verfahren werden.
Ich glaube wohl, daß eine solche Deutung und Ableitung
der Formen möglich ist und habe in einem Referat, das ich
am 22. April 1932 im P.E.N.-Club hielt, versucht, eine gewisse
Systematik solcher Deutungen aufzustellen, die ich hier kurz
skizzieren darf. Danach wären zu untersuchen:
I
Wirkungen der Existenz der Gesellschaft an und für sich.
II
Wirkungen der nach Raum und Zeit bedingten besonderen
Gesellschaftsform
Einwirkungen der geopolitischen Situation
Einwirkungen geschichtlicher Ur-Erlebnisse
III
Wirkungen der Zeitgenossenschaft
als verantwortungsbewußter Träger einer kulturellen Über-
lieferung
als amorphes Publikum, öffentliche Meinung, geltender
Geschmack
als Kraftfeld politischer Kräfte.
Natürlich ist dies nicht mehr als eine erste rohe Skizze.
In einigen Aufsätzen der „Sozialistischen Monatshefte" habe
ich in letzter Zeit einzelne Punkte eingehender dargestellt.
In dem erwähnten Referat habe ich nun bereits ausdrücklich
betont, daß die soziologische Deutung der Kunst, so groß ihre
Möglichkeiten auch sein mögen (und wir stehen noch ganz
am Anfang) doch auch ihre Grenzen hat. Sie wirkt tief in
die Form hinein, aber niemals über den Punkt hin-
aus, wo diese Form aus einer Grenzbestimmung
zur erfüllten Gestalt wird. Was heißt das?
Die Soziologie der Kunst vermag uns weitgehend zu deuten
die Form als Norm, die generelle Form einer Zeit, einer Zone,
einer Gruppe, einer Landschaft, einer Gemeinschaft, aber sie
kann uns nicht erklären, weshalb diese Form von einem Giotto
erschütternd, von einem Daddi langweilig erfüllt wird. Immer
deutet sie uns die engere oder weitere Möglichkeit der
Lösungen, schließt die völlige Freiheit des Künstlers in der Wahl
der Formen durch eine geheime Vorwahl aus . . . aber erst
innerhalb dieser Vorwahl, innerhalb der von der Gesellschaft
gezogenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten bewegt sich die
über den Wert entscheidende Leistung des Künstlers. Alle starre
Dogmatik von Soziologen ä tout prix kann nichts daran ändern,
daß dieser Faktor gesellschaftlich nicht mehr erfaßt werden
kann . . ., womit wir nicht behaupten wollen, daß er überhaupt
unfaßbar bleiben müsse. Die Kunst ist kein Frosch, sondern
ein Warmblüter, das heißt: es ist für ihren Organismus aller-
dings nicht gleichgültig, ob sie unter Tropenwärme oder unter
Polarkälte lebt, aber es bleibt ihr die eigene unabhängige
Wärmestation.
Mit Hilfe von Gesellschaftsformen können wir nur Form-Ge-
sellschaften erklären, das ist gewiß sehr viel und wirkt bis in
den individuellen Schaffensprozeß hinein weit über Zwecke
und Inhalte hinaus . . . aber doch nicht bis an die Wurzel der
individuellen Leistung, der die Qualität allein zugehört. Heute
wird immer wieder der Fehler gemacht, Kollektives mit indivi-
duellen Methoden, erst recht aber, Individuelles mit kollektiven
Methoden deuten zu wollen.
Einige Gedanken über die Methode seien angeschlossen:
Vorerst scheint mir gar nichts anderes möglich, als in jedem
einzelnen Falle immer wieder strikte von der Anschauung aus-
zugehen. Mit festen Begriffen zu arbeiten, scheint mir min-
destens heute verfrüht, aber vielleicht auch bei vorgeschrittener
Einsicht nicht unbedenklich. Es liegt bei der Betrachtung der
Kunst doch etwas anders als in anderen Fächern. Was schein-
bar hier und dort in der Kunst das gleiche ist, kann im Zusam-
menspiel der künstlerischen Faktoren doch etwas recht Ver-
schiedenes sein. Hören wir einmal, wie Hausenstein „das"
Stilleben Cezannes deutet: „In seiner formalen überhobenheit
ist das Stilleben Cezannes der strengen formalen Gebunden-