Stoffe und Ornament
WILHELM LÖTZ, BERLIN
Dieses Heft ist ausschließlich dem Thema des gewebten
Stoffes gewidmet. Wenn die Darstellung handgewebter Stoffe
überwiegt, so liegt das daran, daß sie, wie sich immer deutlicher
ergibt, eine Art Vorposten, man kann sogar sagen, eine Art
Versuchsballon im gestalterischen und modischem Sinn auf dem
Textilmarkt darstellen, wie das von Weech in seinem Aufsatz
anschaulich erläutert. Die Weberei ist immer noch die haupt-
sächlichste Herstellungsart für Stoffe, ja, man versteht eigentlich
unter Stoffen nur Webeerzeugnisse, wenn auch, gerade in den
letzten Jahren immer stärker, die Stricktechnik, die heute von
der Maschine sehr wirtschaftlich und technisch sehr gut aus-
geführt wird, eine Menge Materialien für die weibliche
Kleidung liefert.
Die Webetechnik führt ganz ihrem Wesen entsprechend, das
zeigt dieses Heft sehr deutlich, zu einer Bildung von Ornament,
wenn wir unter Ornament allgemein eine farbige und lineare
Belebung der Fläche verstehen. Die verschiedenen Bindungen
entstehen ja nicht allein durch spielerisch gestaltende Arbeit am
Webstuhl, sondern sie sind notwendig, um eine bestimmte
Struktur und damit einen bestimmten Charakter und eine be-
stimmte Verwendungsmöglichkeit des erzeugten Stoffes zu er-
I zielen. Es handelt sich dabei um eine technische Struktur, die
I für das Auge ein Muster ergibt. Man könnte etwa vergleichen
mit Flechtmustern oder mit Backsteinmauerung in verschiedenen
Verbänden. Fritz Höger hat mir einmal erzählt, daß er ein
leidenschaftlicher Sammler orientalischer Teppiche ist, die er
sich gerne hervorholt, um sich in ihre Struktur zu vertiefen und
daraus Anregungen für seine Backsteinbauten zu gewinnen. Es
ist sehr reizvoll, die Geschichte des Ornaments einmal daraufhin
' zu prüfen, wie weit alle Ornamentik aus dem Strukturornament
erklärt werden kann. Solche Untersuchungen sind ja von der
Kunstgeschichte des späteren 19. Jahrhunderts öfters angestellt
worden, und vor allen Dingen ist sehr oft gezeigt worden, wie
das Strukturornament hinübergenommen wird auf andere Werk-
stoffe und seinen Sinn verliert, sozusagen äußerlicher Zierat
wird, der seines Stoffes enthoben, auf einen anderen Stoff
übertragen wurde. Eine solche materielle Erklärung der Orna-
mentik hat ihre Grenzen. Ja, man darf behaupten, daß sie
überhaupt nur teilweise richtig ist; denn, wenn alle diejenigen
Völker und Zeiten, die Strukturornamente geschaffen haben, so
innig mit dem Charakter dieses Ornaments verwurzelt gewesen
wären, so wäre es ihnen einfach gegen die Gesinnung ge-
gangen, solche Ornamente auf Materialien zu übertragen, auf
denen sie keinen Sinn mehr haben. Das Strukturornament,
obwohl aus Material und Arbeitsprozeß entstanden, wird sicher-
lich, wenn es auch niemals bewiesen werden kann, schon bei
seiner Entstehung und Ausprägung eine symbolische Bedeutung
gehabt haben. Dabei soll der Begriff des Symbols nicht zu
Möbelstoffe der Handweberei Hohenhagen G.m.b H., Bremen
I. „Neutron". 2. „Kabel". 3. „Kabel". 4. „Dubio".
Foto Krenz
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WILHELM LÖTZ, BERLIN
Dieses Heft ist ausschließlich dem Thema des gewebten
Stoffes gewidmet. Wenn die Darstellung handgewebter Stoffe
überwiegt, so liegt das daran, daß sie, wie sich immer deutlicher
ergibt, eine Art Vorposten, man kann sogar sagen, eine Art
Versuchsballon im gestalterischen und modischem Sinn auf dem
Textilmarkt darstellen, wie das von Weech in seinem Aufsatz
anschaulich erläutert. Die Weberei ist immer noch die haupt-
sächlichste Herstellungsart für Stoffe, ja, man versteht eigentlich
unter Stoffen nur Webeerzeugnisse, wenn auch, gerade in den
letzten Jahren immer stärker, die Stricktechnik, die heute von
der Maschine sehr wirtschaftlich und technisch sehr gut aus-
geführt wird, eine Menge Materialien für die weibliche
Kleidung liefert.
Die Webetechnik führt ganz ihrem Wesen entsprechend, das
zeigt dieses Heft sehr deutlich, zu einer Bildung von Ornament,
wenn wir unter Ornament allgemein eine farbige und lineare
Belebung der Fläche verstehen. Die verschiedenen Bindungen
entstehen ja nicht allein durch spielerisch gestaltende Arbeit am
Webstuhl, sondern sie sind notwendig, um eine bestimmte
Struktur und damit einen bestimmten Charakter und eine be-
stimmte Verwendungsmöglichkeit des erzeugten Stoffes zu er-
I zielen. Es handelt sich dabei um eine technische Struktur, die
I für das Auge ein Muster ergibt. Man könnte etwa vergleichen
mit Flechtmustern oder mit Backsteinmauerung in verschiedenen
Verbänden. Fritz Höger hat mir einmal erzählt, daß er ein
leidenschaftlicher Sammler orientalischer Teppiche ist, die er
sich gerne hervorholt, um sich in ihre Struktur zu vertiefen und
daraus Anregungen für seine Backsteinbauten zu gewinnen. Es
ist sehr reizvoll, die Geschichte des Ornaments einmal daraufhin
' zu prüfen, wie weit alle Ornamentik aus dem Strukturornament
erklärt werden kann. Solche Untersuchungen sind ja von der
Kunstgeschichte des späteren 19. Jahrhunderts öfters angestellt
worden, und vor allen Dingen ist sehr oft gezeigt worden, wie
das Strukturornament hinübergenommen wird auf andere Werk-
stoffe und seinen Sinn verliert, sozusagen äußerlicher Zierat
wird, der seines Stoffes enthoben, auf einen anderen Stoff
übertragen wurde. Eine solche materielle Erklärung der Orna-
mentik hat ihre Grenzen. Ja, man darf behaupten, daß sie
überhaupt nur teilweise richtig ist; denn, wenn alle diejenigen
Völker und Zeiten, die Strukturornamente geschaffen haben, so
innig mit dem Charakter dieses Ornaments verwurzelt gewesen
wären, so wäre es ihnen einfach gegen die Gesinnung ge-
gangen, solche Ornamente auf Materialien zu übertragen, auf
denen sie keinen Sinn mehr haben. Das Strukturornament,
obwohl aus Material und Arbeitsprozeß entstanden, wird sicher-
lich, wenn es auch niemals bewiesen werden kann, schon bei
seiner Entstehung und Ausprägung eine symbolische Bedeutung
gehabt haben. Dabei soll der Begriff des Symbols nicht zu
Möbelstoffe der Handweberei Hohenhagen G.m.b H., Bremen
I. „Neutron". 2. „Kabel". 3. „Kabel". 4. „Dubio".
Foto Krenz
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