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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 8.1933

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Hentschel, Kurt: Leinen und Leinenweberei
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https://doi.org/10.11588/diglit.13209#0366

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gemeine Verbreitung der Hausweberei die Kenntnis der
typischen Eigenschaften des Leinens als Rohstoff noch viel tiefer
im Volk sitzt als bei uns, kein Leinen, ausgenommen in der
Volkstracht?

Ehe ich mir noch diese Frage richtig beantwortet hatte,
wurde die erste Überraschung abgelöst durch eine zweite.
An Stelle des nicht vorhandenen modischen Kleiderleinens fand
ich Möbelstoffe, Vorhänge, Gardinen, Wandbespannungen —
aus Leinen. Meist Reinleinen, seltener Leinen mit Wolle oder
mit Baumwolle verwebt.

Das liebenswürdige Entgegenkommen der Firmen Elsa Gull-
berg, Textilier och inredning und Handarbetets Vänner, beide
in Stockholm, ermöglicht mir, aus der Fülle des Gesehenen
ein paar Proben im Bilde vorzuführen. Diese Abbildungen
können leider nur einen sehr unvollkommenen Eindruck von
der wirklichen Schönheit dieser Stoffe vermitteln, da sie im
wesentlichen nur die Gewebestruktur erkennen lassen, nicht
aber den schimmernden Glanz und die edle Kühle, die man
eben fühlen, begreifen muß, in des Wortes ureigenster Be-
deutung. Nie ist in diesen Geweben der Leinenfaden seiner
Eigenart beraubt, immer wirkt er gerade durch das, was er
von Natur aus ist, und darum am stärksten.

Noch eins lassen die Schwarzweißbilder nicht erkennen,
kaum ahnen: die Stoffe sind farbig! Während wir an farbigen

Leinendamast, für Kirchen geliefert, auch mit einzelnen Gold- oder Silber-
fäden. Muster von Mörla Afielius, Hersteller Elsa Gullberg, Textilier och
Inredning, Stockholm.

Leinen eigentlich nur Kaffee- und Teegedecke oder Garten-
tischdecken kennen, in verhältnismäßig wenigen Farbtönen:
hier ist Leinengarn verwebt, mit guten deutschen Indanthren-
farben in vielen Farbtönen gefärbt, die auf der edlen Leinen-
faser zu besonderer Entfaltung kommen. Bald hell und zart,
bald tief und leuchtend, auch einmal gemischt mit einem
gebleichten oder naturfarbenen Garn, stets aber in vornehmer
Eigenart und Zurückhaltung, nie schreiend und aufdringlich.
Hier scheint mir ein sehr beachtliches Anwendungsgebiet für
Leinen zu liegen, das sicher nicht einfach mit der Bemerkung
abgetan werden kann, daß man z. B. „Wandbespannungen
in Deutschland aus Jute herstellt" (wie mir von einer Stelle
entgegengehalten wurde), und „daß es unter den heutigen
Verhältnissen nicht leicht sein würde, die teuren Leinenstoffe
einzuführen". Wenn es in Schweden möglich ist, derartige
Leinengewebe z.B. bei der Ausstattung von Repräsentationsräu-
men in Banken oder für Gesellschaftsräume in Überseeschiffen
zu verwenden, so sollte das in Deutschland erst recht möglich
sein. Unsere Architekten sollten ihr Augenmerk auf diese Mög-
lichkeit lenken, und vor allem sollten öffentliche Bauaufgaben
(ich erinnere nur an die Wiederherstellung des Reichstages
und den Neubau der Reichsbank) Gelegenheit zur Anwendung
von Leinenstoffen für die Inneneinrichtung geben. Natürlich
machen solche Einzelaufträge noch keinen „Umsatz". Sie

Wandbespannung, Damastbindung, farbiges Leinen mit Goldfäden. Muster
von Alf Munthe, Hersteller Elsa Gullberg, Textilier och Inredning. Aus-
geführt für den Speisesaal des M/S Kungsholm der Svenska Amerikalinje.

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